Werke von Martin Scherber und Arvo Pärt

Symphonie Nr. 3 „Zodiac“/Festina lente

Orchestra Simfònica Camera Musicae, Ltg. Christoph Schlüren

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Aldilà Records
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 74

Lange, sehr lange hat es gebraucht, bis der gebürtige Nürnberger Martin Scherber (1907–1974) allmählich ins Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit getreten ist. Scherber studierte unter anderem bei Gustav Geierhaas, war zu Beginn seiner Karriere als Kapellmeister an einem Opernhaus tätig, bis er wieder in seine Heimatstadt zurückkehrte und seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer verdiente. Sein Hauptwerk besteht aus drei großen Sinfonien, von denen die letzte erst 2019 von Christoph Schlüren in Barcelona uraufgeführt wurde. Das Dokument dieser Aufführung liegt hier vor, zusätzlich auch eine Studioaufnahme, eingespielt direkt nach der Premiere.
Eine Schallplattenaufnahme des Stücks gab es allerdings schon vorher, eingespielt 1999 von Elmar Lampson bei col legno. Diese Aufnahme ist kaum beachtet worden – und wenn, dann wurde sie eher geringschätzig abqualifiziert. Und auch danach hat sich eigentlich niemand um Scherber gekümmert. Woher kommt diese Missachtung? Zum einen sicherlich daher, dass Scherber mit „moderner“ Musik nichts zu schaffen hatte – selbst ein Klassiker wie Hindemith fand vor seinen Ohren keine Gnade. Wenn man über Scherber etwas lesen kann, dann gemeinhin, dass seine Musik „wie Bruckner klingt“. Oberflächlich betrachtet mag das sogar stimmen; der Beginn seiner Dritten gemahnt in der Tat ein wenig an Bruckners sechste Sinfonie. Doch geht Scherber wesentlich weiter: Die gesamte Sinfonie ist auf einem Grundrhythmus und einem Grundmotiv aufgebaut; es gibt in dem Werk keine einzige Nebenstimme, jeder Ton speist sich aus dem Grundgedanken. Natürlich gibt es lang angelegte Steigerungen, auch Dissonanzen, doch dienen diese niemals als Effekt, sondern stets zur Untermauerung der Struktur.
Dazu tritt die Tatsache, dass den Interpreten der Ersteinspielung komplett entgangen zu sein scheint, dass die Sinfonie zwölf Teile umfasst, deren jeder ein Tierkreiszeichen zum Thema hat – von Aries (Stier) bis Pisces (Fische). Auch orientierten sie sich wohl an einer Privataufnahme auf zwei Klavieren, die Scherber mit einem seiner Schüler eingespielt hat und die 53 Minuten dauert. Scherber war sich aber bewusst, dass eine orchestrale Aufführung viel länger dauern würde. Christoph Schlüren benötigt mit dem formidablen Orchestra Simfònica Camera Musicae 66 Minuten – und das Ergebnis wirkt letztlich kürzer, weil viel spannender.
In Scherbers Musik ist es die Aufgabe des Dirigenten, die Steigerungen langsam und klug aufzubauen, um die Kräfte nicht zu früh zu verschleißen – und das ist hier hervorragend gelungen. Eine Sternstunde musikalischer Organik, bei der es völlig gleichgültig ist, ob das Opus denn nun zeitgenössisch klingt oder nicht.
Thomas Schulz