Mahler, Gustav

Symphonie Nr. 3 d-Moll

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao Classics S 108047
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 88

Zubin Mehta scheint ein Mann zu sein, der große Momente nicht einfach verstreichen lässt – vor allem, wenn es um Mahler geht. Eine Aufnahme der Zweiten, der Auferstehungs-Sinfonie, hielt 1982 zugleich das zehntausendste öffentliche Konzert der New Yorker Philharmoniker fest, deren Chef Mehta damals war. Eine andere Einspielung dieses Werks, diesmal mit dem Israel Philharmonic Orchestra, bannt einen denkwürdigen Abend des Jahres 1988 in der israelischen Festung Masada auf CD.
Mahlers Dritte, die nun beim Label Farao in ganz exzellenter Tonqualität erschienen ist, hat Zubin Mehta zum Abschluss einer gefeierten Europa-Tournee mit seinem Bayerischen Staatsorchester aufgenommen – nicht irgendwo, sondern am 16. September 2004 im Wiener Musikvereinssaal. Die Reise selbst war für das Orchester (das üblicherweise im Graben sitzt) ein so außerordentliches Ereignis, dass das Beiheft der CD ausführliches Fotomaterial und sogar die Namen aller Musiker enthält. Eine Biografie des in Indien geborenen Dirigenten fehlt dagegen ebenso wie ein Lebenslauf der Altistin Marjana Lipovsek. Beide sind Marke genug, um darauf verzichten zu können.
Die Aufnahme selbst rechtfertigt – trotz ihres nur bedingten Repertoirewerts – jede Publicity. Vorherrschend ist eine frische, unpathetische Leichtigkeit, mit der Mehta gerade auch den monumentalen ersten Satz angeht. Die martialische Hornfanfare zum Auftakt und das große
Posaunensolo lässt er auffallend langsam, betont unheldisch, angenehm abgerundet blasen: ganz anders als Solti etwa. Doch nimmt Mehta beim zweiten Thema wie selbstverständlich Fahrt auf, holt Farben hervor, vermeidet Behäbigkeit und Stillstand. Den dritten Satz, der mit seinem Posthornsolo stets der Gefahr der Melancholie ausgesetzt ist, hält er ohne Süßlichkeiten in Bewegung.
Zubin Mehta begreift diese Sinfonie als das, was sie ist: einen Ausdruck tiefster Naturempfindung, nicht als Programmmusik oder gar heroischer Kampf eines Übermenschen. Aus Nietzsches Zarathustra hat sich Mahler auch bewusst nur das genommen, was er brauchte. Der Mensch ist für ihn lediglich Teil der Natur, und über allem schwebt eine höhere Macht. Nach Menschengesang und Engelsgesang im vierten und fünften Satz wird diese Macht im rein instrumentalen, grandiosen Schlussabschnitt offenbar: Es ist die Liebe.
Für Mehta ist diese Liebe groß, doch nicht schwer, sie heischt nicht Bedeutung durch übertriebene Langsamkeit. Sie ist erdverbunden, nicht philosophisch beschwert. Und wenn Marjana Lipovsek im vierten Satz singt: „O Mensch! Gib acht!“, scheint die Musik den Atem anzuhalten vor der Allmacht der Natur.
Johannes Killyen