Bruckner, Anton
Symphonie Nr. 3 d-Moll. “Wagner-Symphonie”, Erste Fassung von 1873
Das Interesse an den Erstfassungen von Bruckners Sinfonien hat in der jüngeren Vergangenheit sowohl im Konzertsaal als auch bei Einspielungen deutlich zugenommen. Nach einer durchaus gelungenen Aufnahme dieser Fassung von 1873 durch Kent Nagano und seinem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (Harmonia mundi HMC 901817) stellt sich nun Jonathan Nott, der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, dieser Herausforderung.
Nott hat seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 in Bamberg das Niveau des Orchesters, dessen internationale Reputation in den 90er Jahren etwas gelitten hatte, nicht zuletzt dank einer originellen Programmgestaltung wieder gehoben. Die schlug sich auch positiv auf die Aufnahmeaktivitäten der Bamberger nieder. Die Serie der schubertschen Sinfonien, denen eine CD beigefügt wurde mit Werken moderner Komponisten, die sich mit dem Wiener Komponisten auseinander gesetzt haben (alle bei Tudor erschienen), zeigt ein entschiedenes Orchesterprofil ebenso wie die Handschrift von Nott. Diese ist auch bei der ersten Fassung von Bruckners dritter Sinfonie zu erkennen.
Die oft als Bruckners Schmerzenskind bezeichnete Komposition zeigt in den verschiedenen Fassungen ein sehr unterschiedliches Gesicht. Wobei die oftmals zu lesende Meinung, in der Urfassung wimmele es von Wagner-Zitaten, einer Überprüfung nicht standhält. Die erste Fassung von 1873 weitere folgten 1878 sowie 1889 ist die längste Bruckner-Sinfonie überhaupt. Das Richard Wagner gewidmete Werk, dessen hier eingespielte Erstfassung zu Lebzeiten des Komponisten nie erklang, zitiert zwar beispielsweise Brünnhildes Schlaf aus dem dritten Akt der Walküre und enthält auch Anklänge an Isoldes Liebestod, doch sind diese Zitate so unaufdringlich in die dichte Textur der Sinfonie eingewoben, dass sie nie penetrant hervorgehoben erscheinen. So stehen sie auch bei der Lesart von Nott nicht ungebührlich im Vordergrund.
Nott ist ein Bruckner-Dirigent, der für ein klares Nachzeichnen von Formverläufen steht. Die blockhafte, an Orgeltechniken erinnernde Instrumentation, wie sie in der Fassung von 1873 noch prägend ist, ist bei ihm und seinen sehr aufmerksam agierenden Bambergern in besten Händen. Vielleicht mag das Erreichen des ersten dynamischen Höhepunkts im Kopfsatz manchem Hörer noch zu früh erscheinen, insgesamt aber gelingt Nott eine Interpretation von überzeugender Dichte und hohem Spannungsgehalt. Die dunkel timbrierten Streicher, das machtvolle, bei aller Direktheit aber nie grob oder verwaschen klingende Blech des Orchesters sind die Grundlage einer spannungsreichen Sicht auf Bruckners Wagner-Sinfonie. Dazu trägt auch die gute Aufnahmetechnik bei, die für ein Orchesterklangbild von hoher Klarheit steht. In den Ecksätzen neigt der englische Dirigent im Vergleich zu Nagano zu schnelleren, etwas mehr vorantreibenden Tempi, während es ihm auch dank der hochklassig-flexiblen Orchesterleistung in den Binnensätzen gelingt, der lyrischen Gespanntheit der faszinierenden Komposition zu ihrem Recht zu verhelfen. Ein bemerkenswertes Plädoyer für die erste Fassung eines Meisterwerks, die zu lang im Schatten der beiden populärer gewordenen Fassungen von 1878 und 1889 stand.
Walter Schneckenburger