Guilmant, Felix Alexandre

Symphonie Nr. 1 für Orgel und Orchester d-Moll op. 42 / Marche Elégiaque op. 74,1 / Symphonie Nr. 2 für Orgel und Orchester A-Dur op. 91

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Arts 47662-2
erschienen in: das Orchester 07-08/2004 , Seite 78

Wer je selbst seine Finger kraftvoll in ein Tasteninstrument tauchte oder in Windeseile über die Tasten desselben jagte, weiß, welch Entzücken dies bereiten kann. Die Möglichkeit, zwischen den verschiedensten Klangfarben einer Orgel, der Königin der Tasteninstrumente, zu wählen, mag das Vergnügen krönen. Kein Wunder also, dass dem Organisten und Komponisten Felix Alexandre Guilmant (1837-1911) weder der musikalische Stoff noch das klangliche Kolorit ausgehen konnte und er zudem als rege konzertierender Musiker obige Freuden genossen haben musste, die sich in eigenen Kompositionen zu manifestieren schienen.
Als Zeitgenosse von César Franck, Camille Saint-Saëns und Charles-Marie Widor widmete Guilmant sich, anders als seine Kollegen, vor allem der Neubelebung Alter Musik und der Orgelkompositionen seinerzeit vergessener Meister wie Frescobaldi, Gabrieli, Byrd, Scheidt, Buxtehude, Pachelbel und etlicher französischer Orgelkomponisten. Seiner Begeisterung für Alte Musik entsprangen insgesamt zehn Bände mit Orgelmeistern des 16., 17. und 18. Jahrhunderts unter dem Titel
Archives des maýˆtres de l’Orgue und 25 Bände École classique de l’Orgue.
Die Programmgestaltung seiner eigenen Konzerte, die den Pariser Organisten bis weit über die Grenzen Frankreichs hinausführten, umfasste einen ungewöhnlich weiten musikgeschichtlichen Bogen von alten Meistern über das Gesamtwerk Bachs und die Romantik bis hin zu zeitgenössischen Werken – sein Repertoire galt als nahezu unerschöpflich.
Alexandre Guilmants kompositorisches Schaffen, das einige Vokalwerke und Stücke für Klavier, vor allem jedoch Orgelsonaten und einfachere Piècen für Orgel – hier vorgestellt der Marche Élégiaque aus Heft 17 der Pièces dans différents styles – umfasst, bediente sich der Vorbilder wie Händel und Bach ebenso wie Beethovens Sonatensatzform, der Charakterstücke Schumanns und der Orgelsonaten Mendelssohn Bartholdys.
Den Sinfonien Nr. 1 und 2 für Orgel und Orchester liegen Orgelsonaten zugrunde, die Guilmant erst später orchestrierte, ohne etwas an der musikalischen Substanz zu verändern. Die 1. Symphonie in d-Moll op. 42 wurde im August 1878 in Paris uraufgeführt, Guilmant selbst spielte den Orgelpart und wurde vom Orchestre Colonne unter der Leitung seines Gründers Edouard Colonne begleitet. Auffallend hier vor allem im Kopfsatz der enge, abwechselnde Dialog zwischen Orgel und Orchester und das wechselseitige Aufgreifen und Weiterführen der jeweiligen Themen und Motive, bis sich im Finale beide Parts vereinen und in gegenseitiger Zustimmung einem furiosen Finale entgegeneilen. Ganz anders der zweite Satz, den ein fugierter Orgelmonolog einleitet, um nach idyllischen Pastoralklängen in einen Choral überzuleiten, den ein lyrisches Geigenunisono überschwebt. Frisch und äußerst lebendig wirbeln im französischen Toccaten-Stil des finalen Allegro Sechzehntelketten aus der Orgel, die sich nach vorübergehender Beruhigung in einem weiteren Choralabschnitt mit Pauken, Trompeten, Blech und Trommeln verabschieden.
Die fünfsätzige Symphonie Nr. 2, der die Orgelsonate Nr. 8 zugrunde liegt, lässt im Scherzo bereits fortschrittlichere Anklänge erkennen und kann als Konklusion von Guilmants Schaffen bezeichnet werden. Orgel und Orchester greifen nun vermehrt ineinander, Aufbau und Durchführung der einzelnen Sätze wirken komplexer. Das Andante lässt wagnersche Harmonien erahnen und geht über in eine stark verästelte Doppelfuge, mit deren komplizierter Polyfonie Guilmant seine Verehrung für Händel und Bach aufgreift. Dieser Finalsatz gilt als kontrapunktisches Meisterwerk des Komponisten.
Durch Verwendung einer großen Anzahl von imposanten Orgelregistern, wirksamen Klanggemälden und rasanten prestissimo-Läufen entstanden hier zwei Werke, die an sich eines weiten Kirchenschiffs bedürfen und den Rahmen eines häuslichen Konzerterlebens sprengen.
Dem auf den häuslichen Hörer überspringenden Temperament des Organisten Edgar Krapp und, was klangliche und dynamische Flexibilität und absolute Präzision betrifft, dem außergewöhnlichen Können der Bamberger Symphoniker sowie den Dirigenten Vladimir Fedoseyev und Sebastian Weigle, die stets eine ausgeglichene dynamische Balance zwischen Orgel und Orchester gewährleisten, bleibt es zu verdanken, dass diese Einspielung dennoch dem Hörer die teils bombastischen klanglichen Architekturen Alexandre Guilmants zu vermitteln vermag.
 
Kathrin Feldmann