Beethoven, Ludwig van

Symphonie No. 9

Bayreuther Festspiele Live 1951

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo C 754 081 B
erschienen in: das Orchester 12/2008 , Seite 67

Über Wilhelm Furtwängler wurde eigentlich alles gesagt. Nur hinkt die Dokumentation seiner Tonzeugnisse der Musikforschung hinterher. So kamen zum Beispiel erst Ende der 1980er Jahre 44 verschollen geglaubte Aufnahmen des 1954 verstorbenen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker im Moskauer Rundfunkarchiv wieder zum Vorschein. Es war dann der Berliner Musikjournalist Klaus Lang, dem es in einer spektakulären Aktion gelang, diese Bänder aus den einstigen Beständen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft des SFB wieder nach Berlin zurückzuführen.
Der vorliegende Livemitschnitt dokumentiert ein weiteres, lange Zeit verschollen geglaubtes, bedeutendes Zeitzeugnis, das erst unlängst wieder auftauchte: Beethovens Neunte, aufgeführt am 29. Juli 1951 zur Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele. Publikum und Kritiker zeigten sich gleichermaßen begeistert über diesen „musikalischen Höhepunkt der Nachkriegsgeschichte“. Als der letzte Jubel des Finalsatzes verklungen war und Furtwängler den Taktstock niedergelegt hatte, herrschte im Zuschauerraum feierliche Stille, dann aber setzte ein „zehnminütiger Beifallsorkan“ ein, begleitet von Fußtrampeln, schrieb ein Rezensent.
Die Einmaligkeit dieser Aufführung mit dem Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele sowie den exklusiven Solisten Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Höngen, Hans Hopf und Otto Edelmann vermittelt sich noch heute. Sie lebt von einem klug disponierten architektonischen Gesamtaufbau, einer energiegeladenen Durchführung der lebhaften Sätze, schier überbordenden Klangsteigerungen im Finale und vor allem einem tief bewegenden Adagio molto cantabile, bestimmt von einer magischen Ruhe, Langsamkeit und klanglichen Intensität. Für Momente scheint die Musik im luftleeren Raum zu schweben.
Die hohe Konzentration des hoch motivierten, leidenschaftlich mitgehenden Orchesters ist dabei ebenso zu spüren wie die suggestive Kraft des Dirigenten: Jeder noch so kurze Paukenwirbel zeugt, unheilvoll und drohend, von enormer Dramatik. Der spannungsreichste Moment ereignet sich im Finale, wenn es nach der Fermate im Fortissimo vor dem Tonartenwechsel zum „Alla marcia“ („und der Cherub steht vor Gott“) plötzlich abrupt still wird und eine längere Pause einsetzt. Die Wiedergabe wirkt höchst lebendig, kein Hauch von Patina waltet über dem Ganzen, vielmehr erweist sich Furtwänglers große Meisterschaft einmal mehr in ihrer Zeitlosigkeit.
Abstriche gilt es nur bei den großen Choreinsätzen zur „Ode an die Freude“ zu machen, die leicht verzerrt und übersteuert klingen. Restauratoren und Herausgeber trifft hierbei keine Schuld, vielmehr gehen solche Mängel auf das Konto der damaligen, noch weniger hoch entwickelten Aufnahmetechnik.
Kirsten Liese