Henze, Hans Werner

Symphonie No. 8 / Die Bassariden: Adagio, Fuge & Mänadentanz / Nachtstücke und Arien nach Ingeborg Bachmann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio SACD 71134
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 59

Lange hat es gedauert, ehe sich die Sinfonia N. 8 von Hans Werner Henze in der Plattenwelt präsentieren konnte. Nun aber zeigt sich das 1993 in Boston unter Seiji Ozawa aufgeführte Werk mit allen Attributen des großen Auftritts. Denn nicht nur Claudia Barainsky und das Kölner Gürzenich-Orchester mit Markus Stenz sind dessen Garanten und die idealen Interpreten der facettenreichen, ungewohnt leichten und eleganten Partitur. Sondern auch die anderen Kompositionen helfen mit, sie in bestem Licht zu zeigen. Alle drei Werke folgen Henzes Diktum: „Alles bewegt sich auf das Theater hin oder bewegt sich von dorther zurück.“ Alle sind sie biografisch intendiert und legen Bekenntnisse ab. Und alle wollen Stimmungen und Zustände einfangen, Wohlklang artikulieren und mit dem Hörer kommunizieren.
Nachtstücke und Arien, 1958 in Donaueschingen uraufgeführt, brachte Henze einen Eklat der besonderen Art ein, der legendär wurde: Nach wenigen Takten verließen Boulez, Nono und Stockhausen den Saal. Der „leichte Tonfall von der Musik des neapolitanischen oder spanischen café chantant“, überhaupt die Einflüsse von Folklore und alltäglichem Leben haben sie nicht goutiert. Obwohl doch die „Orchestersätze und die zwei Gesänge auf sehr schöne Gedichte von Ingeborg Bachmann – das eine ein geheimnisvolles mythisches Liebeslied, das andere ein Pamphlet gegen Krieg und nukleare Waffen“ alles andere als unzeitgemäß und angepasst, sondern ästhetisch und politisch akzentuiert sind.
Dem folgt auch die 1966 in Salzburg uraufgeführte Oper Die Bassariden mit „dem großen Konflikt unseres Menschheitsdramas: der Auseinandersetzung zwischen Repression und gesellschaftlicher Befreiung, auch sexueller Befreiung: der Befreiung des Individuums“. 1995 kam auf Initiative des Uraufführungsdirigenten Christoph von Dohnányi in Hamburg die Premiere einer Orchester-Suite zustande, deren drei Sätze (samt Epilog) sich auf die vierteilige, den Konflikt sinfonisch bewältigende Großform der Oper und die Musik ihres 3. Akts stützen. Diese Klangwelt raffinierter Farben, eindringlicher Melodien und entfesselter Gewalt endet im verhaltenen Horn-Solo mit der Todesarie des Penteus.
„Imaginäres Theater“ eigener Art zeigt die Sinfonia N. 8. Drei Schlüsselszenen aus Shakespeares Sommernachtstraum inspirieren die Charaktere, Gesten und Bilder der Musik; Verse und Strophen finden Entsprechungen in ihren Strukturen und Abläufen. Das zuerst komponierte ätherische Schluss-Adagio enthält alle Themen in der Urgestalt. Ihre Varianten lenken das luzide und geheimnisvolle Allegro moderato und das scherzoartige Ballabile, in dem Zärtlichkeit und Grobheit miteinander ringen, zur Harmonie und zum gran canto des Finales hin. „Die Betörungen des Eros, seine Irrungen und Exzesse“, mehr noch die Versöhnung und Verbrüderung im Angesicht von Schönheit sind das Anliegen von Henzes Bemühungen. So werden alle drei Werke zu hoffnungsvollen Botschaften aus einer
gefährdeten Welt. Sie derartig vollkommen und erfüllt vernehmen zu können wie in diesen Neu- und Ersteinspielungen, wird dank der exzellenten Ausführenden und einer exquisiten Klangqualität zum Glücksfall.
Eberhard Kneipel