Beethoven, Ludwig van
Symphonie No. 5 c-Moll op. 67 / Symphonie No. 1 C-Dur op. 21
Ungeheuer! Was erlaubt sich dieser Mensch? So viele Bläser so laut spielen zu lassen in einer Symphonie? Der muss die verrückten jungen Wilden aus Mannheim, selbst die Franzosen Rigel, Gretry oder Mehul und natürlich den großen Haydn gut kennen. Selbst Mozart, Gott hab ihn selig, aber von diesem nur die abartigsten Opern, den eigentlich verbotenen Figaro, den skandalösen Giovanni, auch Così fan tutte. Die Revolution, die so viel Blut gekostet hat, scheint sein Hauptvergnügen zu sein. Er soll selbst mit dem Teufel Napoleon paktiert haben! Wir haben hier also seine erste Symphony ein Donnerschlag! Und seine Fünfte ein Massaker des seriösen Geschmacks: arm an thematischen Ideen aber was macht dieser Kerl daraus? Eine musikalische Orgie! Gott bewahre. Die Welt auf den Kopf gestellt: Beethoven den Namen muss man sich merken, weil man sich vor ihm hüten muss!
So hätte man wohl damals schreiben müssen, wäre im Jahr 1810 schon die CD und das zum Abhören erforderliche Equipment erfunden gewesen, das jedes Wohnzimmer, gar jede Benzinkutsche in einen Konzertsaal verwandelt. Im Booklet zur Neueinspielung der beiden Werke durch Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi stehen denn auch die Bläser bei der Aufzählung der Orchestermitglieder an erster Stelle wo doch normalerweise die Konzertmeister und Streicher zuerst genannt werden. Nicht zu Unrecht in diesem Fall, denn die Bläser dominieren das Klangbild der Aufnahmen von Anfang an.
Kürzlich hat ein Ensemble versucht, Beethovens Dritte mit Originalbesetzung im Wiener Original-Uraufführungssaal einzuspielen: 28 Musiker, von denen nur exakt die Hälfte Streichinstrumente spielte! Eine solche Hörerfahrung hilft umzudenken egal, was man von solchen Experimenten halten mag. Und so versteht man auch die Intention des Dirigenten Järvi und seines fantastischen Ensembles, das jeder dynamischen Veränderung bis in die kleinste Verästelung nachspürt, punktgenau zusammen spielt und bis in die letzten Steicherpulte hinein gemeinsam atmet. Plötzlich wird auch klar, warum Goethe etwa, als ihm der junge Mendelssohn die Fünfte am Klavier vorspielte, Angst um sein Haus hatte bei der Vorstellung, dass das all die Menschen zusammen (die Orchestermusiker) spielen. Beethovens Sinfonik hatte von Anfang an etwas Revolutionäres und erhält so ihren alten neuen Sound, der, rhythmisch genau taxiert, durchaus Wände zum Einsturz bringen könnte.
Järvi, konsequent bis zum Anschlag, hat mit seiner Bremer Truppe inzwischen die dritte CD eingespielt und steht kurz vor dem Abschluss der Beethoven-Reihe. Ein Maßstab. Man wünscht jedem Orchesterchef der Republik, zumindest einmal ein Ohr darauf zu werfen. Schon beim ersten Akkord der Ersten wird sich möglicherweise mancher fragen: Arpeggien in den Geigen? Und warum folge ich eigentlich den Vorgaben, die Furtwängler vor mehr als 50 Jahren setzte?
Matthias Roth