Gouvy, Théodore

Symphonie No. 2 en Fa Majeur

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sterling CDS-1087-2
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 69

„Sonate, que me veux-tu?“, rief der französische Aufklärer Bernard Fontenelle aus. Rousseau zitiert diesen Satz in seiner Encyclopédie und liefert damit ein prägnantes Schlagwort zur Charakterisierung des gespaltenen Verhältnisses seiner Landsleute zur reinen, nichts meinenden Instrumentalmusik. „Sonate, was hast du mir zu sagen?“, du abstraktes Gebilde, kalt und rätselhaft stehst du vor mir, der ich doch von Musik erwarte, dass sie mir Fassliches mitteilt. So oder ähnlich empfanden Musikrezipienten jenseits des Rheins noch bis ins späte 19. Jahrhundert.
Heutzutage ist die Relevanz solcher Differenzen kaum mehr nachvollziehbar. Es zeigt sich darin, dass Musik, die wir heute unterschiedslos in den großen Klassik-Topf werfen, noch zu unserer Urgroßväter Zeiten Gegenstand von Kontroversen war. Eigentlich ein beneidenswerter Zustand, selbst eingedenk dessen, dass es dabei auch Verlierer gab.
Théodore Gouvy zum Beispiel, ein talentierter französischer Musiker, über den ein zeitgenössischer Kritiker urteilte, mit nur einem Bruchteil seiner Talents hätte man bereits das Recht, ein erfolgreicher Opernkomponist und Träger des Kreuzes der Ehrenlegion zu sein und 30000 Franc im Jahr zu verdienen. „Aber“, so fährt unser Kritiker fort, „warum zum Teufel komponiert Monsieur Gouvy Symphonien?“
Bereits seine Herkunft prädestinierte Gouvy für eine Position zwischen den Stühlen: Geboren 1819 im preußischen Saarland war er, obwohl aus einer französischen Familie stammend, qua Gesetz Deutscher und durfte aufgrund eines Erlasses nicht am Pariser Conservatoire studieren. Vielleicht hätten sich andernfalls seine kompositorischen Präferenzen anders entwickelt. So aber wurde und blieb Gouvy ein Bewunderer und Nachahmer der deutschen Tradition. Beethoven, Mendelssohn und Schumann waren seine Götter, viele Jahre verbrachte er in Deutschland, und erst gegen Ende seines Lebens wurden dem Geschmähten auch in Frankreich Ehrungen etwa der Académie des Beaux-Arts zuteil.
Über Gouvys 2. Sinfonie (1849) schrieb ein Leipziger Rezensent, ihre Themen seien „gut durchgeführt, die Instrumentation ungesucht, die Musik […] melodiös, frisch und in klarem, lebendigen Zusammenhange von Anfang bis zu Ende fortschreitend“. Charakteristika, die sich ebenso auf die beiden anderen Werke dieser CD, die Paraphrases symphoniques (1886) und die Fantaisie symphonique (1879) beziehen lassen, zumal sich Gouvys Stil im Lauf der Jahrzehnte nur unwesentlich weiterentwickelt hat.
Diese Schätze gehoben zu haben darf sich die prächtig disponierte Württembergische Philharmonie Reutlingen rühmen. Unter Leitung des ehemaligen Heidelberger GMD Thomas Kalb präsentiert das Orchester feine Klang- und Ensemblekultur. Diese in den Dienst lohnender Programm-Raritäten zu stellen und nicht am sinnlosen Wettstreit um die lauteste Mahler-CD teilzunehmen, ist programmatisch die absolut beste Idee,
die Orchester dieser Größe und dieses Rangs haben können.
Gerhard Anders