Stephenson, Lesley

Symphonie der Träume

Das Leben von Paul Sacher

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rüffer & Rub, Zürich 2001
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 82

Wer war Paul Sacher? Die Antwort ist gemeinhin schnell gegeben: An seinem Wirken kann man ihn erkennen! Er war die maßgebliche Institution für neue Musik – nicht nur in der Schweiz. 1926 gründete er das Basler Kammerorchester, 1940 als Schwester-Ensemble das Collegium Musicum Zürich: zwei auch international wirkende Klangkörper, die er finanzierte, die er leitete, deren Programme er bestimmte (mit hunderten von zeitgenössischen Werken, von denen er viele in Auftrag gab) und die er nach Jahrzehnten wieder auflöste, weil er sie keinem anderen anvertrauen wollte. Er schuf 1933 die Schola Cantorum Basiliensis als privates Lehr- und Forschungsinstitut für alte Musik und brachte sie 1957 mit der Basler Musikschule und der privaten Sammlung früher Instrumente von Otto Lobeck unter das gemeinsame Dach einer Basler Musikakademie.
1986 machte er die „Krone seiner Träume“ öffentlich: die Paul-Sacher-Stiftung als wichtigste Sammlung moderner Musik in der Welt. Der Ankauf des Strawinsky-Nachlasses war der Start, ein internationales Archiv und Forschungszentrum mit einem immensen Reichtum an Quellen und Wissen das Ziel. Mit all diesen Institutionen verwirklichte Sacher seine Vision vom Mäzen seiner Zeitgenossen: Er förderte Schweizer Komponisten und Freunde wie Beck, Burkhard, Honegger, Kelterborn, Martin, Schoeck. Er vergab an die ältere Generation – Bartók, Hindemith, Strauss, Strawinsky – ebenso Aufträge wie an die nachfolgende – Britten, Henze, Martinu° –, er engagierte sich für die „Jungen“ – Boulez, Ligeti, Yun, Rihm – und viele andere. Wen er kannte und was ihn persönlich ansprach, bestimmte seine Wahl. Und ihm begegnete man so respektvoll, dass er fast nur Meisterwerke in die Hand bekam…
Wer diese schillernde und faszinierende Person wirklich war, schildert Lesley Stephenson in ihrer detailversessenen, romanhaften Biografie, die 2001 anlässlich des 95. Geburtstags von Paul Sacher erschienen ist. Sie führt ihr Thema – Sachers Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen zum wohl reichsten Mann der Schweiz – in einem Buch mit vier Sätzen und einer Coda durch: kompetent und engagiert, mit dem Wissen aus langjähriger vertrauter Zusammenarbeit und dem nötigen objektiven Blick. 1934 heiratet Sacher die vermögende Fabrikanten-Witwe Maja Hoffmann-Stehlin, was ihn nicht hinderte, lebenslang Affären und tiefgehende Beziehungen zu haben. „Meine Kriegsplätze waren immer Weiber oder Konzerte.“ Er gelangt bald in den Vorstand des international tätigen Pharma-Konzerns Hoffmann-La Roche. Geschäftsinn besaß Sacher; Geschäftsmann wurde er; Geld war ihm das Mittel zur Freiheit. Und er erfuhr, dass alles seinen Preis hat!
Doch er hatte Glück. Auch die erforderliche Disziplin und Willenskraft, die Neugier und den Pioniergeist. „Das was du willst, das kannst du“, hatte die Mutter dem Jungen mit auf den Lebensweg gegeben. Selbst wenn ihm die Beherrschung verloren ging, Machtwille und Arroganz hervortraten, fand er zu Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit zurück. Und seine Rolle hat der Erfolgsmensch Sacher bewusst gespielt: „Ich bin eine graue Eminenz. Das ist es, was ich am liebsten bin. Dann müssen die anderen alles machen. Ich? Ich habe gar nichts gemacht. Ich bin nichts. Aber ohne mich würde es nichts geben.“
Eberhard Kneipel