Monsaingeon, Bruno (Hg.)

Swjatoslaw Richter

Mein Leben, meine Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Staccato, Düsseldorf 2005
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 84

„Der Interpret ist ein Spiegel“, sagt Swjatoslaw Richter und bündelt darin sein künstlerisches Credo. In der Biografie Mein Leben, meine Musik wird mehr als einmal deutlich, was er von Musikern hält, die sich nicht ganz in den Dienst des jeweiligen Werkes stellen, sondern sich als Tastenstars allzu viel Deutung herausnehmen: nichts.
Offen ist er, rücksichtslos gegenüber anderen und sich selbst, uneitel und unermesslich musikbegeistert. Bruno Monsaingeon hat Ansichten, Erfahrungen und Erlebtes des berühmten Pianisten (1915-1997), entstanden aus Gesprächen und Aufzeichnungen mit der Kamera, ungeschminkt zusammengetragen. Dabei setzen die Personen, die wichtig in Richters Leben waren, die strukturellen Akzente. Seinem Lehrer Heinrich Neuhaus beispielsweise ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Dem menschlich wie künstlerisch großzügigen Pianisten, der Richter am Konservatorium von Moskau aufnahm, ohne dass er eine abgeschlossene Grundausbildung vorzuweisen hatte, weil er einfach an dessen Talent glaubte, zollt er gebührenden Respekt. Durch ihn lernte Richter auch Sergej Prokofjew kennen, den er zwar charakterlich problematisch fand, dessen Musik er aber verehrte, nachdem sie ihm vertraut geworden war.
Richter wuchs unter dem Eindruck romantischer Musik auf. Sein Vater, Musiker mit deutschen Wurzeln, hatte in Wien studiert und war ein glühender Wagnerianer. Und Richter junior liebte die Oper: Er spielte als kleiner Junge Verdi und Wagner, Mascagni und Puccini die Tasten rauf und runter, wie es ihm gefiel.
Da Monsaingeon Richter in der ersten Person selbst sprechen lässt – der erste Teil, der die Jahre bis etwa 1970 umfasst, heißt bezeichnender Weise „Richter wie von ihm selbst“ –, erscheint die Biografie überaus lebendig. Nur wenn es nötig ist, setzt der Herausgeber in Fußnoten Erklärungen dazu, um des Künstlers Wort zu ergänzen. Aber das kommt höchst selten vor.
Der zweite Teil überliefert Tagebucheintragungen Richters ab 1970. Er schreibt über musikalische Aufführungen, Werke, die er kennen gelernt hat, gesellschaftliche Ereignisse und Kollegen. Mit sich selbst geht er oft hart ins Gericht, wenn er zum Beispiel seine eigenen Plattenaufnahmen bewertet.
Im Anhang dann genaue Chronologie und Systematik: Besondere Ereignisse in der Karriere Richters sind mit Jahreszahlen aufgelistet, sein beeindruckend umfangreiches Repertoire ist aufgestellt und man kann lesen, welches Werk er wann zum ersten Mal aufgeführt und wie oft er es gespielt hat.
Der Grund, warum man dieses Buch gern zur Hand nimmt, liegt aber wohl darin, dass es in keiner Zeile kalkuliert, sondern erzählt erscheint: Der Leser lernt Swjatoslaw Richter als unverblümten Musik- und Gesellschaftskritiker, der auch seine eigene Leistung objektiv und nicht ohne Kritik zu beleuchten vermochte, kennen, aber auch als Person, die sich ebenso kompromisslos für gute Musik und Menschlichkeit begeistern konnte.
Sabine Kreter

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support