Igudesman, Aleksey/ Johannes Sölnner / Tonio Geugelin und andere

Sunfire

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Emotion Music EMM-040312.01.0036.014
erschienen in: das Orchester 10/2014 , Seite 78

Inhaltlich sind die Prioritäten dieser Produktion klar abgesteckt: Es geht darum, die Marke „Crossover“ für die Streicherkammermusik fruchtbar zu machen. Einige erfolgreiche Beispiele aus jüngerer Zeit mögen die Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler, die sich bezeichnenderweise „Twiolins“ nennen, dazu angeregt haben, Vergleichbares auch für die Duobesetzung mit zwei Violinen in die Wege zu leiten; und ungeachtet der seit Jahren erfolgreichen Bemühungen von Seiten des „Duo Gelland“, für diese Besetzung ein ebenso anspruchsvolles wie kurzweiliges und umfangreiches neues Repertoire entstehen zu lassen, geben sich die Dinglers mit ihrer inzwischen dritten CD selbstsicher als Neuerfinder der Gattung aus.
Dazu greifen sie auf die Gewinner des alle drei Jahre stattfindenden „Crossover Competition Awards“, eines eigens von ihnen ins Leben gerufenen Kompositionswettbewerbs, zurück. Die Ergebnisse sind symptomatisch für die unreflektierte Haltung, dass es beim Crossover eigentlich um nichts anderes geht als um die Übertragung von Praktiken der populären Musik oder des Folk auf ungewohnte Besetzungen. Das häufigste Element ist denn auch die Assimilation popmusikalischer Verfahrensweisen ohne Überdenken der daraus resultierenden musikalischen oder satztechnischen Konsequenzen. Die auf solche Weise entstandenen Werke basieren oft auf extrem simplen Einfällen, die immer wieder umgewendet und in die Länge gezogen werden: Es gibt gegeneinander austauschbare harmonische Verläufe und Rhythmen mit Offbeats und Synkopen, mit denen das Geschehen vorangetrieben wird, eine simple Melodie wird darübergelegt, und der Rest läuft relativ mechanisch ab.
Leider legen viele der zwölf beteiligten Komponisten neben einem erstaunlichen Mangel an musikalischer Erfindung auch kaum Interesse am differenzierten Umgang mit Klangfarben oder Violintechniken an den Tag. Steigerungen vollziehen sich daher meist nur durch zunehmende Lautstärke oder heftigere Akzentuierungen, und wenn dies ausgereizt ist, werden eben Oktaven als Mittel der Klangsteigerung eingesetzt. Dass solche Werke als Finalisten eines Wettbewerbs angenommen werden, gibt
zu denken und zeigt, dass die Messlatte nicht allzu hoch liegt.
Konsequenterweise wartet auch die Umsetzung nur selten mit Raffinessen auf: Meist imitieren beide Musiker notengetreu den Tonfall bestimmter Musikarten, lassen es mal nach Jazz und nach Irish Folk (in Morrison’s Jig von Aleksey Igudesman) klingen oder würzen ihr Spiel mit exotischem Melos à la Indien (wie in Maha Nada von Sebastian Sylla). Das geht zwar alles gut zusammen und überzeugt meist auch durch präzises Zusammenspiel, bleibt aber letzten Endes all jene klanglichen Subtilitäten schuldig, die eine intime kammermusikalische Zweisamkeit wie die Duobesetzung erst reizvoll machen. Herausgekommen ist dabei eine einigermaßen gefällige CD mit unverbindlicher Musik, die man nach dem Hören rasch wieder vergessen hat.
Stefan Drees