Nakamura, Yoko

Suite Nr. 3

für Violoncello solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ries & Erler, Berlin 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 73

Illustre Namen finden sich im Repertoirekatalog der Werke für unbegleitetes Cello: Reger, Hindemith, Britten, Zimmermann, Ligeti. Anknüpfend an die Cello-Suiten Bachs und auf der Basis einer enorm avancierten Spieltechnik ließen diese und andere Komponisten in ihren Werken vielstimmige Klanglandschaften entstehen, die der einst als sperrig verschrieenen Kniegeige neue Horizonte eröffneten.
Auch Yoko Nakamura stellt ihre 2009 komponierte 3. Suite für Cello solo in einen auf Bach verweisenden Traditionsrahmen. Das Werk ist Teil eines auf sechs Suiten angelegten Zyklus, der mittlerweile (2012) fertiggestellt wurde. Vier Sätze der insgesamt siebensätzigen 3. Suite nehmen Bezug auf die barocken Satztypen Courante, Sarabande, Menuett und Gigue. Der erste Satz ist als Praeludium deklariert, und lediglich dem zweiten und sechsten Satz liegen ausschließlich assoziative, nicht durch bestimmte Formmodelle hervorgerufene Inspirationen zu Grunde.
Indes: Steht diese Komposition wirklich Bach oder den Größen des 20. Jahrhunderts nahe? Wir erfahren, dass Yoko Nakamura Enkelschülerin französischer Meister wie André Jolivet und Henri Dutilleux war. Dem Cello bringt sie eine besondere Affinität entgegen: Neben zahlreichen „Profi“-Werken veröffentlichte sie auch für den Unterricht geeignete Literatur wie die 10 Duette (2007) und die Regenbogen-Trios (2008) für junge Cellisten. Widmungsträger ihrer Cellosuiten und vieler anderer Werke ist der legendäre Berliner Cellist und ehemalige Hochschullehrer Wolfgang Boettcher. Er hat die spieltechnische Einrichtung der vorliegenden Ausgabe vorgenommen und ist nach wie vor vielerorts als Interpret der Werke Nakamuras aktiv.
Die sieben Sätze der 3. Suite tragen allesamt poetische Überschriften. Sie reichen vom „Sonnenaufgang“ über den „Herbstwald“ bis zur „Bachstelze“. Diese sollen, laut Einführungstext des Verlags, insbesondere jungen Musikern Zugang zu dieser „neuen und frischen“ Musik erleichtern. Nun denn: In ihrer Melange aus Bachismen, Quasi-Pentatonik und Dur-Moll-Seligkeit wirkt die Musik nicht durchweg neu und frisch, sondern bisweilen erfindungsschwach, ja: trivial.
Andererseits nimmt uns die Offenherzigkeit, im frühen 21. Jahrhundert so zu komponieren, für die Authentizität und Redlichkeit des ganzen Unternehmens ein. Die Pseudo-Poesie der Überschriften indes lässt uns schaudern: Glaubt die Komponistin wirklich, ihre steifen Courante- und Menuett-Anverwandlungen zugänglicher machen zu können, indem sie ihnen Etiketten wie „Rote Ahornblätter“ oder „Eicheln, die von den Bäumen rieseln“ anheftet? Andererseits: Für Kinder oder Mittelstufen-Celloschüler ist das Stück zu schwierig, denn es verlangt einige Trittsicherheit in Sachen Legato, Stricharten, Doppelgriffe und Spiel in hohen Lagen. Wer dieses technische Level erreicht hat, darf musikalisch eine Schublade höher suchen!
Gerhard Anders