Hiller, Ferdinand / Carl Reinecke

String Trios

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion ARS 38 491
erschienen in: das Orchester 10/2010 , Seite 75

Wieder eine kleine, neue Ausgrabung: Zwei Komponisten aus der deutschen romantischen Tradition kommen hier gemeinsam ans Licht, die vergessen schienen. Das Neue Wuppertaler Streichtrio präsentiert Ferdinand Hiller, umtriebiger Mitgestalter des rheinischen bürgerlichen Musikbetriebs sowie Freund Mendelssohns und Schumanns, und Carl Reinecke, ab 1860 langjähriger Leiter des Leipziger Gewandhauses. Beide Musiker prägten ihre Epoche als Musikmanager und Publizisten, als Dirigenten und Solisten. Und beide vertreten in ihrer Mendelssohn- und Schumann-Nachfolge eine traditionelle, konservative Musikkultur, an der die weitere Musikentwicklung vorbeigezogen ist. Ihre Kompositionen sind heute vergessen.
In der Renaissance, in der Neu-Erfindung ihrer Werke zeigt sich symptomatisch eine gewisse Hilflosigkeit unseres Konzertbetriebs: Heutige zeitgenössische Kompositionen sind auf CD nicht leicht zu vermitteln und das bekannte klassisch-romantische Repertoire ist zur Genüge abgegrast. Auch die Wiederentdeckungen unbekannter Werke bekannter Komponisten haben schon ihre Plätze im CD-Regal gefunden. Nun bringen vergessene Meister immerhin noch Lorbeerkränze. Und hoffentlich mehr als nur Ehre bringt den Wuppertalern ihr Hinweis auf diese nun wiederbelebten vergessenen Meister.
Jakob Schatz (Violine), Michael Gehlmann (Viola) und Denis Krotov (Cello) stellen Spätwerke Hillers und Reineckes zur Diskussion: von Hiller, der von 1811 bis 1885 lebte, ein nachgelassenes op. 207 und von dem jüngeren Reinecke (1824-1910) ein 1901 publiziertes Trio op. 249. Beiden Trios gibt das großartig aufeinander eingeschworene Wuppertaler Trio, das sich aus Orchestermusikern aus Wuppertal (Schatz und Gehlmann) und Dortmund (Krotov) zusammensetzt, durch einen luftig-leichten romantischen Spielduktus die besten Rezeptionsmöglichkeiten mit auf den Weg.
Über diese Interpretation hätten sich die Komponisten sicher sehr gefreut. Alle Strukturen, Brüche, Wandlungen, zarten Melodiebögen, Ausbrüche sind plastisch gemacht. In Hillers Trio überwiegen epigonale Züge, bei schöner Melodienfindung und einem formal experimentellen zweiten Satz. Im dritten Satz scheint die Zeit zu stagnieren, was die Musiker mit gediegener Tongebung wettmachen. Eigenwilliger, wenngleich nicht modern, erscheint das wohl 20 Jahre später komponierte Opus des damals 77-jährigen Reinecke. Intakte Phrasen werden nicht in Frage gestellt, aber auch nicht mit Gewalt überhöht, eher wie in einer sehnsuchtsvollen Rückblende dargebracht. Beide Streichtrios sind herzlich willkommen, das enge Streichtrio-Repertoire zu ergänzen und unser historisches Wissen zur Kultur der Gründerzeit zu erweitern.
Katharina Hofmann

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