Bartók, Béla
String Quartets Complete
Dass die sechs Streichquartette Béla Bartóks zu den Meilensteinen abendländischer Kammermusik-Literatur zählen, dürfte niemand ernsthaft bestreiten wollen. Bartóks charismatische Verschmelzung der kompositorischen Ansprüche der Gattungstradition und ihrer (hier geradezu ins Extrem getriebenen) motivisch-thematischen Dichte mit Elementen osteuropäischer Volksmusik unter höchst innovativer Einbeziehung unkonventioneller Klangmöglichkeiten stellt für jedes Ensemble eine besondere Herausforderung dar. Entsprechend gewichtig ist die Anzahl der Einspielungen (Alban Berg-, Julliard-, Keller-, Emerson-Quartett u.v.a), der das Rubin Quartet mit Irmgard Zavelberg (Violine), Tinta Schmidt von Altenstadt (Violine), Sylvie Altenburger (Viola) und Ulrike Zavelberg (Violoncello) nicht allein eine weitere, sondern eine ausnehmend schöne Gesamtaufnahme hinzufügt.
Dabei liegen die Stärken der vier Musikerinnen aus Frankreich, Holland und Deutschland vor allem in der expressiven Gestaltung der langsamen Partien, was insbesondere den Kopfsätzen der ersten beiden Quartette zugute kommt. So erfährt die nachwagnersche, häufig an den frühen Schönberg gemahnende Chromatik im Kopfsatz von Bartóks Erstling (1908/09) einen entsprechend glühenden Ton, wird die strömende Kantabilität im Moderato des zweiten Quartetts (1915-17) mit einer Leidenschaft zelebriert, die an den emotionalen Gipfelpunkten unter die Haut geht; und auch die Resignation im Finale von Bartóks letztem Quartett (1939) kommt eindringlich zum Ausdruck, ohne dass ein übertrieben schwerfälliges Tempo eingeschlagen würde.
Was die Gestaltung der klanglich so avancierten mittleren Quartette anbelangt, sind jedoch Abstriche zu machen. Trotz aller artikulatorischen und rhythmischen Versiertheit hat man den Umgang mit dem so wesentlichen Parameter Klangfarbe schon differenzierter und nicht zuletzt kompromissloser gehört. Insbesondere die klanglichen Härten im dritten (1927) und vierten Quartett (1928) könnten da mehr Agressivität und Geräuschanteile vertragen, geben sich nicht nur die schroffen Klangballungen, auch die folkloristischen Tonfälle und Techniken der scherzohaften Sätze oft etwas handzahm. In dem außer Rand und Band geratenen Schluss-Allegro des Vierten will der Funke nicht recht überspringen. Auch die Burletta im sechsten Quartett (1939) kommt ein wenig hüftsteif daher.
Aber nicht nur was die Gestaltung abrupter Klangbild-Wechsel anbelangt, auch die Ausformulierung feiner, aber signifikanter Farbnuancen hätte man sich gerade in spieltechnischer Hinsicht mancherorts aussagekräftiger gewünscht. Ein Beispiel: Im Kernsatz des vierten Quartetts fällt die für die Klangflächen so wichtige Binnendifferenzierung zwischen non-vibrato- und vibrato-Spiel fast gänzlich unter den Tisch. Trotzdem legt das Rubin Quartet hier als ein (vielleicht manchmal zu) homogener Klangkörper insgesamt eine Einspielung von ausgefeilter Klangkultur vor, die zwar keine neuen Perspektiven eröffnet und auch keine neue Referenzaufnahme wird dazu ist die Konkurrenz einfach erdrückend , aber trotzdem eine willkommene Bereicherung des Katalogs darstellt.
Dirk Wieschollek