Weismann, Julius

String Quartets arr. for Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 596-2
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 75

Seit Langem setzt sich die Produktionsfirma cpo dafür ein, unbekannte Komponisten bzw. unbekannte Musikstücke bekannterer Komponisten präsent zu machen. Die Gründe für das Vergessen mögen unterschiedlich sein: Qualität im Zusammenhang mit zeitgenössischer Stilistik, Bequemlichkeit gegenüber einer Erweiterung des Repertoires, mangelnde Vermarktungsmöglichkeiten u.v.m. Kompositionen, die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 geschrieben wurden, gehören nicht per se in den Giftschrank. Um das Verdikt des Ausblutens der deutschen Kultur durch Vertreibung und Vernichtung der Besten überprüfen zu können, müssten die Werke der Komponisten, die im NS-Staat gearbeitet haben, greifbar, d.h. zunächst einmal hörbar gemacht werden. Zwar hat die durch Fred K. Prieberg angestoßene musikhistorische Forschung viele Fakten offengelegt, doch die Musik, beispielsweise von Graener, Trunk oder Höffer, bleibt zu größten Teilen unbekannt.
Die beiden hier vorliegenden, vom Dirigenten Georg Mais für Streichorchester bearbeiteten Quartette Julius Weismanns sind in den Jahren 1940 resp. 1943 bis 1944 entstanden. Einen Zeitbezug, z.B. mittels klanglicher Umsetzung von Kriegsgeschehen oder eines Tonfalls der Niedergeschlagenheit, sucht man vergebens. Weismann versteigt sich auf Naturliebe als Grundpfeiler seines Schaffens. Die Stilistik verbleibt weitgehend in der Spätromantik, Assoziationen an Brahms, Tschaikowsky, Bruckner, Sibelius tauchen auf. Handwerklich solide gearbeitet, haben die Sätze dramaturgische Schwächen, es gelingen Weismann kaum großformatige Bögen. Der Affektgehalt beschränkt sich überwiegend auf den Wechsel zwischen Lyrischem und Scherzando-Passagen, Letztere wirken in der Ausweitung des Instrumentariums zuweilen etwas schwerfällig. Vor allem das a-Moll-Quartett eignet sich durch klare Linienführung für Streichorchester, chorisch problematische Figurationen in der ersten Violine verbleiben zum Teil solistisch. Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim spielt klangschön, kommt allerdings im ziellosen G-Dur-Quartett intonatorisch an Grenzen.
Ein Booklet-Text wie der beigefügte dürfte so nicht erscheinen. Nicht nur, dass offenbar eine unfertige Rohfassung abgedruckt wurde, mit keinem Wort wird erwähnt, dass und wie Weismann mit dem NS-Staat verbunden war. Eine solche Weißwaschung sollte sich nach den Aufdeckungen wie z.B. beim Volkswagenwerk oder dem Auswärtigen Amt verbieten, sie sollte endgültig der Vergangenheit angehören, wäre in der Geschichtswissenschaft heute undenkbar. Auch musikbezogen ist der Text verquast: „Als Ansatz sich näher mit den Streichquartetten… zu beschäftigen, dienten Georg Mais sowohl Weismanns großartige Klangsprache, das perfekte Handwerk sowie die radikale Schärfe und die romantische Linienführung einerseits und die natürliche Tonsprache andererseits.“ Ideologie ersetzt Ästhetik nicht. Letztere bleibt für das „Dritte Reich“ noch zu schreiben, hierfür können diese beiden Werke nur zwei kleine Steine sein. Dass sie zumindest partiell auch heute eine Wirkung haben können, bleibt unbestritten.
Christian Kuntze-Krakau