Antonín Dvořák
String Quartet op. 96 „American“/String Quintet op. 97/ Humoresques op. 101
Roland Glassl (Viola), Mandelring Quartett
Auch wenn es verständlich ist, dass sich Ensembles in ihren Konzerten gern mit Repertoirewerken auseinandersetzen, bleibt doch die Frage nach der Notwendigkeit, solche Auseinandersetzungen auch auf CD zu dokumentieren. Anders gefragt: Wo liegt der Mehrwert einer neuen Produktion, wenn mit der Veröffentlichung doch nur die ohnehin ausgetretenen Pfade des Klassikmarktes weiter verbreitert werden? Das Mandelring Quartett beantwortet diese Frage bei seiner Antonín-Dvořák-Lektüre durch eine gezielte Werkauswahl: Das Ensemble richtet den Blick auf Kammermusik, die der Komponist während seines Aufenthalts in den USA geschrieben hat. Den Anfang macht hier erwartungsgemäß das sogenannte „amerikanische“ Streichquartett Nr. 12 F-Dur op. 96 aus dem Jahr 1893. Tatsächlich kann das Mandelring Quartett mit seiner Interpretation überzeugen: Voller Elastizität treten die rhythmischen Elemente der Rahmensätze hervor, die Zeichnung von Themen und melodischen Phrasen gerät plastisch. Die Genauigkeit bei der Wiedergabe geht mit einem Höchstmaß an Sensibilität bei der dynamischen Zeichnung von Texturen oder dramaturgischen Entwicklungen einher, der Umgang mit den Tempi nimmt durch eine feine Flexibilität, die immer wieder für Überraschungen sorgt, für sich ein.
Dass die Musiker:innen das bekannte Streichquartett mit dem unmittelbar im Anschluss entstandenen Streichquintett Nr. 3 Es-Dur op. 97 kombinieren, ist ein erster Pluspunkt gegenüber anderen Aufnahmen, denn dadurch wird es möglich, Dvořáks Entwicklung weiterzuverfolgen: Gemeinsam mit dem Bratschisten Roland Glassl führt das Ensemble vor, dass der Komponist in dem ausgedehnteren Werk zwar in Bezug auf thematische Gestaltung, Harmonik und melodische Bildungen sehr eng bei der musikalischen Sprache von op. 96 verweilt, dass er aber demgegenüber den vorwiegend lyrischen Charakter des Quartetts ins Dramatische zu wenden weiß. Bei aller Ähnlichkeit des Ausdrucks gewinnt das Streichquintett hierdurch eine größere Tiefe.
Das Ensemble beschließt die CD – und dies ist die größte Überraschung – mit einer von Matthias Eichhorn für Streichquartett arrangierten Fassung der Humoresken op. 101. Die acht ursprünglich für Klavier entstandenen Miniaturen, in New York begonnen und dann 1894 in der böhmischen Heimat fertiggestellt, warten mit einer musikalischen Vielfalt auf, die das Ensemble zu Höchstleistungen anspornt: Die Herausarbeitung der trotz identischer Grundtempi völlig differierenden musikalischen Charaktere und die Nachzeichnung der zahlreichen Stimmungs- und Farbwechsel auf engstem Raum runden die Produktion mit einem erfreulichen Höhepunkt ab. Und spätestens hier ist dann auch die Frage nach dem Mehrwert der CD beantwortet.
Stefan Drees


