David Popper
String Quartet op. 74
Partitur und Stimmen
Fast sein ganzes Musikerleben lang hat David Popper in Streichquartetten gespielt, ist mit einigen der berühmtesten Quartette seiner Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas aufgetreten – und doch hat er erst ganz am Ende seiner Laufbahn als Solist, Kammermusiker, Lehrer und Komponist ein eigenes Streichquartett geschrieben. Sein Opus 74, sein letztes größeres Werk überhaupt, sticht hervor in einem Œuvre, das fast ausnahmslos dem Violoncello, seinem Ins-
trument, gewidmet ist. Und es wirkt, als wollten die vier Sätze mit insgesamt knapp 30 Minuten Spieldauer auch nur ein wenig die sehr rar gesäten Orchesterstücke in Poppers Werkkatalog ergänzen.
Der Eingangssatz beginnt tastend und vorsichtig, der Klang ist dunkel gefärbt. David Popper ist hier sehr weit entfernt von einem majestätischen oder gar virtuosen Ansatz, vielmehr überwiegen eine dichte Struktur und die enge Verzahnung der vier Streicherstimmen. Nur sehr selten blitzen schärfere Akzente auf, und obwohl der Komponist seinen vier Kammermusikern nicht nur die unteren Lagen ihrer Instrumente zuweist, wirkt der gesamte, eher knapp gehaltene Kopfsatz bis fast in die letzten Takte hinein wie ein dunkel eingefärbter Prolog zu einem Drama.
Das relativ umfangreiche Scherzo verstärkt den Eindruck der starken Geschlossenheit der vier Stimmen, wechselt im Ausdruck aber zu einem eher serenadenhaften und leichteren Ton. Man könnte sich diesen Satz mit seinem sehr verträumten und stark zurückgenommenen Mittelteil auch durchaus von einem Streichorchester gespielt vorstellen. Die Stimmung des Scherzo-Trios aufnehmend, entwickelt das Adagio feine Gesangslinien. Aus heutiger Sicht mag man sogar etwas Nostalgisches in diesem Satz erkennen, allerdings eher in der Form eines knappen Intermezzos, das in vier Minuten Spieldauer nicht die Ambition einer großen Konzertarie entwickelt.
Der gewichtigste und umfangreichste Satz in David Poppers Streichquartett ist das Allegro-Finale mit seiner marschartigen Einleitung, die schnell einer etwas gelösteren, aber dennoch weiter vorwärtsdrängenden Stimmung Platz macht. Gleichwohl löst sich das Ganze nicht in einem virtuosen „Endspurt“ auf, sondern findet zurück zum eher dunkel-dramatischen Beginn im Kopfsatz. Die Nähe zu Brahms, die Martin Rummel im Vorwort dieser blitzsauberen Notenausgabe betont, mag hier am ehesten zu finden sein. Viel wichtiger ist allerdings die Botschaft, dass es mit Poppers Opus 74 einen schönen Solitär in der Streichquartettliteratur zu entdecken gibt.
Daniel Knödler