Mozart, Wolfgang Amadeus

Streichquintette Band II, Urtextausgabe und Studien-Edition

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2006
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 79

Die Streichquintette in C-Dur, g-moll und c-Moll KV 515, 516 und 406 (früher 515b) von Wolfgang Amadeus Mozart gehören zu den nach Originalquellen hervorragend dokumentierten Werken des Komponisten: Sowohl die Autografe von Mozarts Hand sind erhalten als auch die Erstdrucke, die zum Teil noch zu Lebzeiten Mozarts erschienen (1789-1792 bei Artaria in Wien). Wozu also braucht man eine neue kritische Urtextausgabe?
So einfach, wie sie scheint, ist die Sachlage dann doch wieder nicht. Zum einen fallen Textabweichungen zwischen beiden Quellen auf, und da bekannt ist, dass Mozart Druckfahnen üblicherweise nicht Korrektur las, ist ein gewisses Misstrauen gegenüber den Erstausgaben selbst zu Lebzeiten Mozarts durchaus angebracht. Sie sind nicht nur teilweise äußerst fehlerhaft, was den Notentext selbst betrifft, sie weisen auch andere Hinzufügungen auf, etwa dynamische Angaben, denen man bisher mit einigem Grund recht kritisch gegenüberstand, da sie sich in Mozarts Autografen kaum finden. So fehlen diese, als Willkürlichkeiten der zeitgenössischen Herausgeber gewertet, meist auch in moderneren Ausgaben.
Nun aber tauchte im Jahr 2001 eine Kopistenhandschrift des Quintetts C-Dur aus Privatbesitz auf, die alle bisherigen Theorien ins Wanken brachte. Es handelt sich um eine – im Übrigen auch an zahlreichen Stellen fehlerhafte – Kopie der Stimmen nach dem Autograf, die heute im Beethoven-Haus Bonn aufbewahrt wird und die zahlreiche Korrekturen und Ergänzungen enthält, die zweifelsfrei von Mozarts Hand stammen: Es sind vor allem dynamische Zeichen, aber auch solche für die Bogensetzung oder Staccato-Angaben, die hier vom Komponisten selbst hinzugefügt sind. Offenbar aber diente diese Abschrift nicht als Stichvorlage des Artaria-Drucks, denn die Angaben sind zu unterschiedlich. In Band II der neuen Henle-Urtextausgabe wurden Mozarts Detail-Ergänzungen daher erstmals übernommen. Zum anderen wurde durch den Fund aber auch die ungewöhnliche Satzfolge des Erstdrucks – Allegro-Menuetto-Andante-Allegro – bestätigt.
So weit, so gut. Doch diese neue Quelle hat auch Konsequenzen für andere Werke: Was ist z.B. mit der etwa zeitgleich entstandenen Stimmen-Abschrift zum g-Moll-Quintett (ebenfalls im Beethoven-Haus), die genau solche dynamischen und andere Zeichen enthält, die von Mozarts autografer Partitur abweichen, die nun aber in den Stimmen eindeutig nicht von Mozarts Hand stammen, andererseits aber teilweise in den Erstdruck Eingang fanden? „Die Parallelen zu Quelle K für KV 515 [das ist die erwähnte Kopistenhandschrift der Stimmen des C-Dur-Quintetts] sind so deutlich, dass davon auszugehen ist, dass die Ergänzungen auf Mozart zurückgehen“, meinen die Herausgeber der jetzigen Urtext-Neuausgabe, Ernst Herttrich und Wolf-Dieter Seiffert, und man muss ihnen wohl beipflichten.
Die Quellenlage zum Quintett c-Moll KV 406 ist unberührt von dem neuen Fund und daher unverändert. Hier existiert allerdings eine Bläserbearbeitung von Mozarts Hand, die für die neue Ausgabe zu Vergleichszwecken herangezogen wurde.
Matthias Roth