Haydn, Joseph
Streichquartette Heft VI: Quartett op. 42 und Preußische Quartette op. 50 / Streichquartette Heft VII: Tost-Quartette op. 54 und 55
Rechtzeitig zum Haydn-Jahr erschien im Münchner Henle Verlag die Gesamtausgabe der Streichquartette op. 42, 50, 54 und 55, zu denen die Preußischen Quartette und Tost-Quartette zählen. Haydn konnte sich in dieser Zeit aus den strengen Verpflichtungen am Hof von Esterháza befreien. Die Möglichkeit ohne Zwänge seiner Kunst hingegeben zu komponieren, spiegelt sich in diesen außergewöhnlichen Werken wider.
Auf gewohnt hohem Niveau legt der Henle Verlag eine Ausgabe dieser Werke vor, die sowohl für den praktischen Gebrauch bestens eingerichtet ist als auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Das Druckbild ist großzügig. Es wird nicht gespart. Der Notentext ist sehr gut lesbar. Durch die Größe und die Abstände zwischen den Noten erhalten jede Einzelnote und jedes Motiv ihr Gewicht, was ganz der kompositorischen Anlage entspricht. Sehr wohl überlegt wird jedes den Spielfluss unterbrechende Umblättern vermieden, teils durch unbedruckte Leerseiten, teils auch dadurch, dass aufklappbare Seiten eingefügt wurden, sodass der Spieler über drei Seiten lang ohne Unterbrechung spielen kann. Das ist insbesondere für die Konzertsituation ein unschätzbarer Gewinn.
Die Henlesche Konzeption von Urtextausgaben bewährt sich auch bei Haydns Streichquartetten. Bei ihnen kommt es auf eine sprechende und sinnvolle Artikulation an. Der Notentext dieser Ausgaben gibt den Spielern ein fundiertes Werkzeug in die Hand. Was Haydn unbedingt beachtet wissen wollte, zeigt der Notentext mit Strichangaben und dynamischen Zeichen an, doch er verdeutlicht ebenso, welche Freiheiten Haydn dem Spieler ließ, da auf die interpretierenden Zeichen eines Herausgebers verzichtet wurde. Dies ermöglicht einen eigenständigen, neuen und frischen Zugang zu Haydns Streichquartetten.
Der Herausgeber James Webster gibt in seinen Vorworten und im ausführlichen Anmerkungsverzeichnis in deutscher und englischer Sprache wertvolle Information über die Autografe und Erstdrucke und über editorische Fragen. Dabei werden auch die Unterschiede zu bestehenden Ausgaben aufgezeigt, die zumeist aufgrund der Heranziehung späterer Ausgaben bzw. einer anderen Auslegung der Quellen entstanden.
Der Interpret von Haydns Streichquartetten erhält so alle grundlegenden Informationen, die ihm diese zentralen Kompositionen der Quartett-Geschichte erschließen helfen. Ein Wunsch bleibt freilich offen: Es wäre gut, wenn einer solchen Gesamtausgabe auch eine Partitur beigegeben würde. Man könnte sich so einen besseren Überblick über Fragen des Zusammenspiels verschaffen, ohne zusätzlich ins Notengeschäft oder die Bibliothek gehen zu müssen. Doch eine wichtige, nützliche und Haydns Werk dienende Edition sind diese Henleschen Quartett-Ausgaben allemal.
Franzpeter Messmer