Schumann, Robert

Streichquartette

Nr. I-III op. 41, Urtext, hg. von Nick Pfefferkorn, Studienpartitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Pfefferkorn Musikverlag, Leipzig 2010
erschienen in: das Orchester 06/2011 , Seite 72

Erst nachdem Robert Schumann sich 1841 Zugang zum sinfonischen Terrain erkämpft hatte, wagte er im darauf folgenden Jahr mit der Komposition seiner drei Streichquartette op. 41 einen weiteren Schritt weg vom vertrauten Klavier und hinein in das Erbe der Klassiker, deren Beiträge zur Quartettgattung er mit diesen Werken kongenial bereicherte. Welch intensiver Arbeitsprozess im Anschluss an die Fertigstellung der Partitur im Juli 1842 bis zur Drucklegung der Stimmen im Februar 1843 stattfand, wird im Vorwort der vorliegenden Ausgabe beschrieben: Diverse Proben und interne Aufführungen nutzte Schumann, um nachzubessern und nicht zuletzt streicherische Ratschläge des Gewandhaus-Konzertmeisters Ferdinand
David einfließen zu lassen. Die Ergebnisse dieses Prozesses berühren indes nicht nur Detailfragen der Bogensetzung oder Artikulation, sondern greifen bisweilen tief in die Struktur der Werke ein.
Hier setzt die vorliegende Ausgabe des 1996 gegründeten Leipziger Pfefferkorn Musikverlags an: Sie präsentiert den Notentext der Quartette sozusagen mit Stand vom 22. Juli 1842, also unmittelbar nach Erstschrift der Partituren, macht aber mit Hilfe der „vi – de“-Kennzeichnung deutlich, wo und in welchem Umfang Schumann nachträglich Kürzungen (nur um solche geht es) vorgenommen hat. Neben Streichungen einzelner Takte oder Taktgruppen – beispielsweise im Variationensatz von Opus 41,2 –
betreffen die wohl frappierendsten Veränderungen einen eintaktigen Akkord-„Teppich“, mit dem in dieser Version das A-Dur-Quartett vor Eintritt der 1. Violine anhebt, sowie ein viertaktiges Zitat aus dem a-Moll-Quartett, das ursprünglich als Ouvertüre des F-Dur-Quartetts – man könnte auch sagen: als Link zwischen beiden Werken – fungieren sollte, in den Erstdruck der Stimmen jedoch nicht Eingang gefunden hat.
Offensichtlich betrachtete Schumann seine Partitur als Arbeitsexemp­lar und bemühte sich zugleich bei seinem Verleger Breitkopf & Härtel um Drucklegung nicht nur der Stimmen, sondern einer „offiziellen“ Partitur – ein Ersuchen, dem Raymund Härtel jedoch nicht nachkam. Die Pfefferkorn-Edition legt nun Partitur und Stimmen in einer Version vor, die man im Gegensatz zu den bisher greifbaren Ausgaben – auch zur Urtextausgabe von Schott – als „Ersttext“ bezeichnen könnte. Sie gewährt aufschlussreiche Einblicke in die Schumann’sche Werkstatt, ersetzt jedoch nicht die quellenkritische Urtextausgabe, da aus beschriebenen Gründen die mit Schumanns Eintragungen versehenen Stimmen zumindest den gleichen Authentizitätsgrad beanspruchen dürfen wie die Ur-Partitur. An die verdienstvolle Pfefferkorn-Ausgabe bliebe somit nur die (indes gravierende!) Frage zu stellen, warum den Stimmen das irreführende Etikett „Urtext“ angeklebt wurde, zumal im Vorwort der Partitur durchaus plausibel dargelegt ist, dass und warum es sich nicht um einen Urtext handelt.
Gerhard Anders