Hába, Alois

Streichquartette

Gesamtaufnahme

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bayer Records BR 100 282-5
erschienen in: das Orchester 10/2007 , Seite 84

Dieser Komponist ist zwar nicht in Vergessenheit geraten. Doch sein Platz in der Musik des 20. Jahrhunderts ist eher am Rand positioniert. Das hat Alois Hába jedoch nicht verdient. Der Prager lebte von 1893 bis 1973, schrieb etliche Opern, gehörte zu den prägenden Professoren am Nationalkonservatorium in seiner Heimatstadt und legt ein kammermusikalisches Schaffen von großer Dichte und Breite vor. Zumal zum Streichquartett lieferte der Schüler von Franz Schreker Beispielhaftes und Innovatives, denn in den Kompositionen für die klassische Besetzung überrascht er mit seiner Theorie der Viertel-, Fünftel- und Sechstelton-Systeme. Er überspielte die Klangstruktur des „wohltemperierten“ harmonischen Regelwerks und holte sich Anregungen von der alten orientalischen Musik, die bekanntlich das Spektrum der westeuropäischen Tradition erweiterte – vor allem durch das Aufsplitten des Ganz- und Halbtonprinzips. Hába vertiefte sich in diese „Zwischenwelt“ der Klänge mit einer Ernsthaftigkeit wie kaum ein Zweiter seiner Generation.
Nun liegt die Einspielung all seiner Streichquartette vor: 16 ständig changierende Werke plus sechs Kompositionen für Sechstelton-Harmonium oder Streichquartett. Die Kompositionen umspannen einen Zeitraum von 1919 bis 1967: Immer stärker löst sich Hába im Laufe der Jahrzehnte von der Konvention, von der Tradition, von romantischer Klangfarbe, Modulation und Melodieführung. Seine Devise, gestärkt von den Wiener Avantgardisten und dem Berliner Busoni-Kreis, lautete in rigorosem Widerspruch zum bisherigen Klangverständnis „Athematik statt Thematik“ und „Asymmetrie statt Periodensystem“.
Auf seiner Mikrotonalität baute er eine neue Klangwelt auf: ein Verweben und Ausfransen der Halb- und Ganztonschritte bis zu einer gewissen (weil nicht mehr hörbaren) Unkenntlichkeit. Anders und positiv gesagt: Hába putzt mit seinen Kompositionen unsere Ohren frei. Die Interpreten (die sich in diesen minimalen Klangschritten erst einspielen müssen) und das Auditorium müssen sich einhören. Was Jahrhunderte in Italien, Frankreich, Deutschland galt, gilt hier nicht mehr.
Hába, von anthroposophischen Gedanken Rudolf Steiners gelenkt, sah in der Mikrotonalität den Weg einer neuen Menschensprache aufs Podium und auf die Bühne (er schrieb auch Opern in dieser Technik). Hába, der auch Instrumente für dieses revolutionäre Klangfeld baute und mit ihnen experimentierte, schuf einen eigenen Kosmos: Die Quartette, von den Mitgliedern des hochsensibel agierenden, aber auch poetischen Zauber einbringenden Stamitz-Quartetts (Vitezsav Cernoch und Josef Kekula, Violine, Jan Peruska, Viola, Vladimir Leixner, Cello) mit hoher Leidenschaft vorgetragen, haben nur eine Einbuße, wenn man sie sich im Durchlauf komplett anhört: Sie klingen in dem Bemühen um melodische Kleinteiligkeit manchmal etwas angestrengt und zuweilen gleichförmig. Das gilt zumal für die erste Serie der Werke. Andererseits: Nach der Eingewöhnung nimmt man das Besondere, ja Provokante dieser Mikrotonalität kaum noch wahr. Dann werden die Streichquartette des Pragers, der noch im sozialistischen Zukunftsdrang eine Chance für neue Musik sah, zur Selbstverständlichkeit.
Vielleicht wird Hábas enormer Kompositionsschritt doch noch auf der Bühne verschiedener Theater dokumentiert, wenn sie sich der Viertelton-Oper Matka annehmen. Das wäre sicherlich posthum das schönste Geschenk für diesen Komponisten, der zäh an seinen Gedanken des Umformens festhielt.
Hans-Jörg Loskill