Kukal, Ondrej
Streichquartett / Present. Duo für Violine und Violoncello
Partitur und Stimmen
Ein ausgesprochener Pragmatiker ist er, der Tscheche Ondrej Kukal: pragmatisch und praxisorientiert. Das Multitalent wurde 1964 in Prag geboren, wo Kukal auch seine Ausbildung erhielt, als Geiger bei Josef Vlach, dem Gründer und langjährigen Primarius des Vlach-Quartetts, als Komponist bei Jindrich Feld, daneben auch noch als Dirigent bei Vladimír Válek. Sein Kompositionsstudium schloss er 1985 mit der Aufführung seines eigenen Violinkonzerts op. 7 ab, und auch sein Dirigierstudium beendete er man möchte fast sagen: selbstredend als Interpret eines seiner eigenen Werke, des Danse symphonique für großes Orchester op. 10 (1989). Ab 1985 war er dann zehn Jahre lang Geiger im Neuen Vlach Quartett, daneben entwickelte sich fast wie von selbst eine erstaunliche Karriere als Dirigent. 1991 übernahm er für fünf Jahre als Chefdirigent die Südböhmische Kammerphilharmonie, ab 1993 dirigierte er regelmäßig das Tschechische Kammerorchester, ab 1996 auch das Sinfonieorchester des Tschechischen Rundfunks, ab 1996 führte er sieben Jahre lang das Prager Kammerorchester als Konzertmeister und Leiter an. Zusätzlich absolvierte er zahlreiche Gastauftritte u. a. beim BBC Symphony Orchestra und bei der Tschechischen Philharmonie. Seit 2002 ist er Chefdirigent der Philharmonie Hradec Králové (Königgrätz).
Neben all diesen dirigentischen und geigerischen Aktivitäten (wann übt der Mann eigentlich?) schrieb er zahlreiche Kompositionen, viele davon mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet und gespielt von berühmten Interpreten und Ensembles in aller Welt. Das vorliegende Streichquartett op. 9 entstand im Jahr 1988 und wurde 1991 uraufgeführt vom Sie werden es kaum erraten Neuen Vlach Quartett.
Das einsätzige Werk offenbart in recht typischer Weise den bereits zu Beginn angedeuteten kompositorischen Ansatz Kukals. Als Grundzüge stellen sich mir der spielerische Impuls dar, aus dem die Musik zu erwachsen scheint, andererseits ihre tiefe formale und klangliche Verwurzelung in der Tradition. Dieser Komponist schreibt mitteilsame, leicht fassliche, den Hörer direkt ansprechende, deswegen aber nicht zwangsläufig platte Musik, die den Interpreten jede Möglichkeit zur Demonstration virtuoser und klanglicher Qualitäten im traditionellen Sinn bietet. Jegliches provokative oder verstörende Element, jeder Anflug von Avantgardismus fehlt, so genannte neue Spieltechniken, Viertel- oder Mikrotöne, Cluster, Glissandi etc. sind gänzlich ausgespart. Lebendig, gewürzt mit Synkopen, sanglich, ohne tonale Berührungsängste, kommt diese Musik in bester tschechischer Tradition daher, scheint in direkter Linie anknüpfen zu wollen an Bohuslav Martinu, Viktor Kalabis und Petr Eben.
Das 1992 für seine Quartettkollegen geschriebene kurze Duo Present ist ein virtuoses, tänzerisches, rhythmisch gepfeffertes Scherzo, in dem sich zu den bereits angesprochen Charakteristika Jazz-, ja Rockelemente gesellen. Hier liegt ein Hauch von West Side Story in der Luft. Spaßmusik im besten Sinn sozusagen, aber warum eigentlich nicht?
Herwig Zack