Haas, Joseph / Egon Kornauth

Streichquartett op. 50 / Klavierquintett op. 35a

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cavalli Records CCD 276
erschienen in: das Orchester 07-08/2010 , Seite 68

1919 kam das Streichquartett von Joseph Haas zur Uraufführung, etwa vier Jahre, bevor Arnold Schönberg seine ersten Kompositionen in der Methode mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen schrieb. Von solcherart Umwälzungen, die doch sozusagen in der Luft lagen, ist in dem Werk Haas’ nichts zu hören; im Gegenteil: Die geradezu klassische Faktur und das Verharren in einer kaum ausgeschöpften Tonalität lassen es eher in der Nachfolge Mendelssohns erscheinen denn auch nur als Reflex auf das Werk Max Regers – Letzterer war immerhin Lehrer des Komponisten. Das hier vorliegende Werk lässt kaum ahnen, dass der Komponist ein Förderer der neuen Musik war und sich unter seinen Kompositionsschülern immerhin Karl Amadeus Hartmann befand.
Das Diogenes Quartett, nach dem gleichnamigen Verlag benannt, lässt der Komposition alle erdenkliche Sorgfalt angedeihen, paart Leichtigkeit im ersten und zweiten Satz mit Melancholie im dritten Satz; verfügt auch über die nötige Virtuosität zum Beispiel im vierten Satz. Es setzt eine reiche Palette darstellerischer Möglichkeiten ein und lässt so das Zuhören zu einem kurzweiligen Erlebnis werden. Lediglich in der Durchführung des ersten Satzes kommt es zu einigen strähnig wirkenden Takten. Das könnte jedoch auch der Komposition selbst geschuldet sein, die hier in den kontrapunktischen Verwicklungen etwas viel des Guten tut und so doch Reger ein wenig aus dem Knopfloch lugen lässt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Klavierquintett von Egon Kornauth. Der heute fast vergessene Komponist wirkte vor allem als musikalischer Erzieher, hatte aber doch den Anspruch, Werke zu schaffen, die vor dem Hintergrund der klassischen Komponisten Gültigkeit beanspruchen konnten. So klingt denn auch sein Klavierquintett, 1931 geschrieben, wie eine Fortsetzung romantischer Traditionen. Es erstaunt, wie deutlich neben spätromantischen Passagen das Brahms’sche Idiom durchbricht, so als habe man es hier mit einem Spätwerk des fast hundert Jahre vorher geborenen Kollegen zu tun. Während Schönberg Brahms als einen Ausgangspunkt seiner revolutionären Zwölfton-Theorie betrachtet, wird derselbe Komponist für Kornauth offenbar zu einem Garanten gepflegten, wenngleich expressiven Konservatismus. Eine gewisse Langatmigkeit scheint der Preis dafür zu sein. Das 20. Jahrhundert mit seinen Brüchen scheint jedenfalls konsequent ausgeblendet zu sein.
Das Diogenes Quartett setzt in Gemeinschaft mit dem Pianisten Andreas Kirpal die schwergewichtige und oftmals düstere Tonsprache überaus adäquat um, wenngleich die erste Violine manchmal etwas stark in den Vordergrund tritt. Die Homogenität, mit der Quartett und Klavier miteinander musizieren, ist bereits durch verwandtschaftliche Bande determiniert; hinzu kommt eine langjährige Zusammenarbeit in einer Münchner Konzertreihe. Insgesamt liegt hiermit eine Veröffentlichung vor, die einen Eindruck von einem Komponieren verschafft, das einer Verlängerung längst überwunden geglaubter musikhistorischer Positionen gleicht.
Diederich Lüken