Bartók, Béla / Paul Hindemith
Streichquartett Nr. 5 / Streichquartett Nr. 4 op. 22
Vor einigen Jahren legte das Zehetmair Quartett eine fulminante Einspielung von Béla Bartóks viertem Streichquartett vor, gekoppelt mit Karl Amadeus Hartmanns Carillon-Quartett (ECM 1727). Nun folgt also Bartóks Quartett Nr. 5. Die Besetzung des Ensembles hat seither gewechselt; von der ursprünglichen Formation sind der Namensgeber Thomas Zehetmair als Primgeiger sowie die Bratschistin Ruth Kilius übrig geblieben, neu hinzugekommen sind die Geigerin Kuba Jakowicz und Ursula Smith am Violoncello. An der faszinierenden Spielkultur des Quartetts hat sich allerdings nichts geändert. In den Proben und im Konzert spielen die vier Musiker auswendig, was nach Zehetmairs Worten in einer größeren Freiheit resultiert.
Eine Kombination von ausgeklügelter Klanglichkeit und beinahe improvisatorischer Freiheit ist es auch, die ihre Bartók-Interpretation auszeichnet: Die schroffen Zuspitzungen der Ecksätze und die bulgarischen Rhythmen des zentralen Scherzos sind mit leichter Hand realisiert, weniger den bei Bartók allzu oft als alleiniges Stilmerkmal hervorgehobenen barbaro-Charakter suchend als vielmehr eine feinsinnige expressive Vielschichtigkeit und, nicht zuletzt, auch den galligen Humor, wie er sich kurz vor den letzten Takten des Finales kundtut.
Außerordentliches vollbringt das Zehetmair Quartett in den beiden langsamen Sätzen zwei und vier, in denen das beinahe tonlose Wispern und Flüstern dieser ebenso sensiblen wie sinistren Nachtmusiken so atemberaubend realisiert ist wie sonst nur sehr selten. Überhaupt kann die Vielzahl der klanglichen Nuancen, die von den Musikern in diesem Werk angewandt werden, nur staunenswert genannt werden bis zu dem Punkt, wo man sich fragt, ob es denn hier keine einzige normal gespielte Note gibt. Wer einen warmen, expressiven Quartett-Klang wünscht, wird hier vielleicht nicht auf seine Kosten kommen dafür aber viel im besten Sinne Unerhörtes entdecken.
Dies gilt auch für das zweite Werk auf dieser CD, Hindemiths Streichquartett op. 22 lange Zeit als sein drittes bekannt, nun, da das ursprünglich unveröffentlichte Quartett op. 2 wieder zugänglich ist, als Nummer vier gezählt. Angesichts der elektrisierenden Interpretation durch das Zehetmair Quartett fragt man sich wirklich, warum dieses Opus genau wie die übrigen sechs Quartette des Komponisten heute kaum noch bekannt sind. Aber Hindemith spielt sich eben nicht von selbst: Diese Musik fordert, um unmittelbar zum Hörer zu sprechen, den ganz großen Interpreten, der sich, einmal abgesehen von der technisch perfekten Beherrschung des Notentexts, ohne Wenn und Aber zu ihr bekennt. Dieser Glücksfall ist hier eingetreten: Hindemiths Quartett steht in dieser Einspielung nicht nur als Schöpfung eines begnadeten Kontrapunktikers vor uns, sondern vor allem als lebendige, packende und tief empfundene Ausdrucksmusik.
Thomas Schulz