Brahms, Johannes / Benjamin Britten

Streichquartett Nr. 3 / Streichquartett Nr. 1

Schumann Quartett München (Barbara Burgdorf, Traudi Pauer, Stephan Finkentey, Oliver Göske)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Townbeat Classics
erschienen in: das Orchester 04/2016 , Seite 75

Die Frage, inwieweit Kunstwerke die persönliche Situation des Künstlers reflektieren, ist auch nach 5000 Jahren Kulturgeschichte nicht generell beantwortet. Immer wieder steht sie im Raum, aber nur selten kann man sie unumwunden bejahen.
Der Pazifist Benjamin Britten, der Europa 1939 demonstrativ in Richtung USA verlassen hatte, kehrte 1942 nach England zurück, mitten hinein in den Krieg. Und er schrieb ein Streichquartett: Es beginnt mit einem seltsam fernen Abschieds-Adagio, das in ein wild aufgeheiztes Allegro mündet, das mehrfach in sich zusammensackt. Auch das Scherzo dieses Quartetts Nr. 1 op. 25, ein „Allegretto con slancio“ (mit Leidenschaft), wirkt aufgekratzt und unruhig, der folgende langsame Satz dagegen erschöpft, ermattet, zu Tode betrübt, fast ein Requiem.
Es fällt schwer, hier nicht die Umstände des Kriegs, der zur Zeit der Komposition alle beherrschte, reflektiert zu sehen. Die Analyse von Sonatensatzform und Tonartencharakter allein kommt jedenfalls kaum auf den Kern des Werks, das im Finale geradezu trotzig jubelnd aufbegehrt und Widerstand leistet gegen die fatale Schwermut der Zeit: Ein Einzelner zettelt die Revolte an, die, sich steigernd, fast in Schostakowitschs Manier schließlich die Massen mobilisiert.
Das Münchner Schumann Quartett macht dieses Werk mit emotionaler Kraft zu einem Aufschrei mit politischem Impetus. Das Ensemble, zu drei Vierteln bestehend aus Mitgliedern der Bayerischen Staatsorchesters, weiß klangliche Mittel gezielt einzusetzen und kostet sie auch voll aus.
Ist schon die Wahl des Britten-Werks für diese neue CD ein Coup, so ist auch die „Beigabe“ von Brahms’ drittem Quartett B-Dur op. 67 nicht minder gelungen. Der satte Sound der vier Streicher gewinnt dem Stück einen Reiz zwischen Streichorchester-Fülle und solistischer Hervorhebung ab, der im Kopfsatz durchaus angemessen scheint. Barbara Burgdorf und Traudi Pauer (Violinen), Stephan Finkentey (Viola) und Oliver Göske (Cello) sind als Quartett mehr als vier Solisten, sie präsentieren sich primär als Ensemble. Was freilich zur Folge hat, dass es manchmal schwer fällt, die spezifischen Eigenheiten der Musiker, ihre Individualität, auszumachen, die ja beim Quartettspiel auch eine gewisse Rolle spielt. Diese mag man denn auch etwa im Andante oder im Scherzo des Brahms-Werks gelegentlich vermissen. Im Variationen-Finale ist man allerdings wieder versöhnt: Beim süffigen Ensembleklang des Schumann Quartetts bleibt da vor inniger Rührung kaum ein Auge trocken. Das ist einfach superb.
Matthias Roth

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