Schubert, Franz

Streichquartett G-Dur op. posth. 161 D 887

Urtext, hg. von Egon Voss, Studien­partitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2010
erschienen in: das Orchester 04/2011 , Seite 67

Im März 1824 schreibt Franz Schubert an den Freund Leopold Kupelwieser: „In Liedern habe ich wenig Neues gemacht, dagegen versuchte ich mich in mehreren Instrumental-Sachen, denn ich componirte 2 Quartetten [i.e. die Quartette D 804 und 810] und will noch ein Quartetto schreiben, überhaupt will ich mir auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.“ Alles deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Quartettplan um die Keimzelle des G-Dur-Quartetts handelt, zumal es sich wahrlich um ein Werk von sinfonischen Dimensionen handelt, das Schubert zugleich als Vorstufe zur 1828 vollendeten C-Dur-Sinfonie empfunden haben dürfte. Zwischen 20. und 30. Juni 1826 schrieb Schubert die Partitur nieder, nahm allerdings im Anschluss daran noch zahlreiche Änderungen vor, die durchaus nicht nur Marginalien, sondern Substanzielles betreffen. Zu Schuberts Lebzeiten kam es nicht mehr zur Drucklegung, und somit gab es für den Komponisten keinen Grund, eine definitive Fassung des Werks zu erstellen. Infolgedessen stehen Editoren unserer Tage auf dem Weg zu einer
Urtextversion vor der schwierigen Aufgabe, sich in des Komponisten Arbeitspartitur hineinzudenken, dieser dessen Intentionen zu entnehmen oder zumindest – vor dem Hintergrund eines penibel erarbeiteten Kriterienapparats – bestmöglich zu erahnen.
Bereits die Verantwortlichen der bei Bärenreiter erschienenen Neuen Schubert-Ausgabe konnten hiervon manches Lied singen, und nicht anders ging es Egon Voss, der nun bei Henle eine exzellente Neuausgabe des
G-Dur-Quartetts vorlegt und sich hierbei auf die Version der NSA bezieht. Vertrackte Spezifika Schubert’scher Texte sind beispielsweise die zwischen den Notensystemen platzierten Dynamik- und Artikulationszeichen, deren Zuordnung oft schwierig, wenn nicht unmöglich ist: Beziehen sich Staccato-Punkte, die unterhalb der Cellostimme stehen, nur auf diese oder sind sie in den anderen Stimmen zu ergänzen? Ändert sich die Dynamik lediglich in einer Stimme, in zwei Stimmen, in allen Stimmen? Voss weist darauf hin, dass die NSA diesbezüglich die Theorie der „Rahmendynamik“ vertritt (wenn „außen“ notiert, dann auch „innen“ gemeint!), gibt indes zu bedenken: „Angesichts der Tatsache jedoch, dass Schubert […] das unterstellte Verfahren nicht konsequent und einheitlich anwendet, erscheint die stillschweigende Ergänzung der fehlenden Zeichen nicht gerechtfertigt.“ Auch in der Frage so genannter Parallelstellen verfährt Voss äußerst vorsichtig: Ergänzungen fehlender oder unklarer Artikulationszeichen werden eher vermieden, da „zwischen den formal entsprechenden Stellen oft feine inhaltliche Unterschiede bestehen, die die Angleichung verbieten“.
Ohne Zweifel ist dieser neuen Henle-Version des epochalen G-Dur-Streichquartetts ein Höchstmaß an editorischer Akribie zu Teil geworden. Wer sich für das Werk interessiert, wer es studieren und/oder aufführen möchte, dem seien diese Partitur und diese Stimmen wärmstens empfohlen.
Gerhard Anders

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