Gounod, Charles

Streichquartett A-Dur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Kunzelmann, Adliswil 2009
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 66

Es gibt eine Reihe von Komponisten, wie eben Charles Gounod, die man mit der Gattung Streichquartett nicht unbedingt in Verbindung bringt, zumal seine Bühnenwerke – wie auch im Falle Giuseppe Verdis – das übrige Schaffen wie die Kammermusik in den Schatten gestellt haben. Bläsern ist vermutlich gerade noch die Petite symphonie ein Begriff, anderen der Hochzeitsmarsch Nr. 1 C-Dur oder die Cäcilienmesse und selbstverständlich allen seine berühmt gewordenen Méditations wie die aus seiner Oper Thaïs oder die über Bachs C-Dur-Präludium, welches ja erst durch Gounod so richtig populär geworden sein soll…
Von seinen im Nachlass vorgefundenen Streichquartetten war bislang nur das letzte in a-Moll posthum im Jahr 1895 veröffentlicht worden. Das Petit Quatour in c-Moll und das in A-Dur blieben bislang Manuskript. Nun hat jüngst der Herausgeber L. J. Drop (die Initialen lassen sich in der Ausgabe nicht aufschlüsseln) im Schweizer Verlag Edition Kunzelmann Letzteres als Erstausgabe veröffentlicht. Die späte Publikation überrascht, da das Tonhalle-Quartett Zürich es bereits 1968 auf Schallplatte eingespielt und auch das belgische Quatour Danel Anfang des Jahrtausends gar alle drei inzwischen vergriffenen Streichquartette auf den klingenden Markt gebracht hatte.
Zunächst macht die Ausgabe einen guten Eindruck. Das Notenbild ist großzügig und übersichtlich gestaltet, die einzelnen Systeme sind gut voneinander getrennt, die dynamischen Zeichen prachtvoll erkennbar, die Musizieranweisungen, welche hervorhebend kursiv gedruckt sind, wirken fast überdimensional. Die praktischen Erfordernisse eines genügsamen Standards wären eigentlich erfüllt. Und dennoch erscheint die Ausgabe lieblos aufbereitet: Die Musik muss aus sich selbst sprechen, das Werk theoretisch erst mühsam erschlossen werden. Die Ausgabe geizt mit einem erhellenden Vorwort. Der interessierte Musiker erfährt nichts über den Ort der Herkunft, Datum sowie Umstände der Entstehung. Es wird auch nicht klar, wie die Quelle beschaffen ist, ob alles Originaltext ist und was L. J. Drop als Herausgeber ergänzte oder verbesserte. So bleibt unklar, ob beispielsweise die uneinheitlich gedruckten Artikulationszeichen wie zu Beginn oder die fehlenden Legato-Bögen im 4. Satz in den Violinen Nachlässigkeit oder unbedingte Treue zum Originaltext bedeuten.
Man könnte einwenden, das kümmere den Praktiker wenig, lenke von der Musik ab und der Zuhörer höre die Feinheiten nicht, vergäße die an sich unnötigen Informationen, man könne gegebenenfalls im alleswissenden Netz suchen. Doch wer sollte es dort reinstellen, wenn nicht der Herausgeber einer Erstausgabe?
Das Streichquartett selbst ist größtenteils nach leicht modifiziert klassischen Mustern à la Joseph Haydn komponiert mit häufig wiederkehrenden Fugati, manchmal mit orchestralen Elementen, aber auch mit der traditionell französischen Vorliebe für die Primgeige wie bei den Pariser “Quatour brillante” des 18. Jahrhunderts. Bemerkenswert der Walzer im Trio des als “Minuetto Allegro” bezeichneten Satzes.
Werner Bodendorff