Hesse, Adolph Friedrich
Streichquartett
Nr. 1 op. 23, Partitur/Stimmenset
Adolph Friedrich Hesse (1809-1863) war im Hauptberuf ein Organist, der sein Leben lang in Breslau an St. Bernhardin wirkte, dort aber auch Sinfoniekonzerte leitete und neben Orgelmusik immerhin auch sechs Sinfonien, das Oratorium Tobias sowie Kammermusik komponierte, Werke, die mittlerweile freilich so gut wie vergessen sind. Freundschaftliche Beziehungen konnte er zum 25 Jahre älteren Louis Spohr knüpfen. Und als Orgelvirtuose erzielte Hesse auch in deutschen Musikzentren, in England und Frankreich mit Werken Bachs sowie eigenen Kompositionen große Erfolge. Nach Christian Vitalis, der zur vorliegenden Edition ein knappes, aber völlig ausreichend informierendes Vorwort beisteuerte, soll Hesse durch seine Konzerte das wachsende Interesse an Bach in Frankreich stimuliert haben.
Das 1. Streichquartett op. 23 in d-Moll, das er der Breslauer Künstlergesellschaft widmete, weist Hesse als einen routinierten Komponisten aus, der harmonisch-tonal gänzlich traditionell eingestellt war. Und Einflüsse seiner Tätigkeit als Organist machen sich vor allem in der flächig-gliedernden, eher registerhaften Gestaltung der Dynamik im ganzen Werk gibt es nur jeweils eine einzige Crescendo- und Decrescendogabel sowie in der (keinesfalls übertriebenen) kontrapunktischen, also weniger thematisch- motivischen Durchgestaltung des Tonsatzes mit imitatorischen Stimmführungen oder Fugati (letzter Satz) bemerkbar. Aber in der Formdisposition der konventionellen Folge der vier Sätze des Werks und der thematisch-zyklischen Gestaltung erweist er sich als durchaus modern gestaltender Komponist. Der erste Satz mit seiner Sonatenform stellt etwa in der Reprise die Themengruppen der Exposition um, sodass sie mit dem Seitenthema einsetzt. Zudem ist das Seitenthema unverkennbar motivischintervallisch aus dem Hauptthema abgeleitet, und das Thema des folgenden langsamen Variationensatzes repräsentiert eine weitere Variante des Hauptthemas des ersten Satzes.
Mit der kontrapunktischen Durchgestaltung des Tonsatzes und den eher minderen spieltechnischen Ansprüchen kann dieses Quartett auch gut und mit viel Gewinn von Laienmusikern erarbeitet werden. Überliefert ist das Werk nur mit den vier 1830 in Breslau gedruckt erschienenen Stimmen, die Christian Vitalis außerordentlich sorgfältig und zuverlässig revidiert hat: Kompliment! Zudem begründet er seine editorischen Entscheidungen in einem der Partitur beigegebenen Kritischen Bericht. Auch deshalb wäre es überflüssig gewesen, die ebenso geringfügigen wie fast schon selbstverständlichen editorischen Eingriffe auch noch typografisch im Notentext besonders zu kennzeichnen (es hätte ausgereicht, sie im Kritischen Bericht zu erwähnen). Lediglich eine seiner Maßnahmen wäre doch wohl zu korrigieren: Im 1. Satz, Takt 215, 2. Violine und Cello, muss der erste Bogen mit der 3. (nicht 2.) Note beginnen.
Giselher Schubert