Flotow, Friedrich von
Streichquartett
C-Dur, Erstausgabe, hg. von Erik Harms, Partitur und Stimmen
Dass Fritz Kreisler lange verheimlichte, seine oft als Stilkopien daherkommenden Encores für Violin-Recitals selbst komponiert zu haben, ist bekannt. Neben dessen eigenen Einspielungen sind mir diejenigen des heute leider vergessenen Geigers Ricardo Odnoposoff (1914-2004) bleibend im Ohr. Die berühmtesten dieser Sammlung von Charakterstücken sind die drei Altwiener Tanzweisen, bestehend aus Liebesfreud, dem unverwüstlichen Liebesleid sowie Schön Rosmarin. Zu den vielfachen Bearbeitungen kommt mit der vorliegenden Fassung von Fredo Jung eine für Streichtrio hinzu.
Der Bearbeiter orientiert sich eng am Original, Tonarten, Vortragsbezeichnungen und Artikulation werden beibehalten. Der bei Kreisler häufig kompakt gesetzte Klavierpart wird geschickt auf Cello und Viola übertragen. Die Melodik liegt im Hauptanteil weiterhin in der Violinstimme, bei Schön Rosmarin sogar gänzlich, wechselnd bei Liebesleid. Das Notenbild ist klar gehalten und sehr gut lesbar. Bei der Übertragung sind vereinzelt Bezeichnungen vergessen worden, Beispiele bei Liebesleid: das p in den Unterstimmen Takt 17, das grazioso der imitierenden Bratsche in Takt 35, die Kennzeichnung der Wiederholung Takt 33. Klanglichen Reichtum bringt der differenzierte Wechsel von pizzicato und arco bei Schön Rosmarin. Dieses Arrangement zu spielen ist dankbar. Die Einrichtung der Stimmen besorgte das Gaede-Trio.
Dass auch der Opernkomponist Friedrich von Flotow (1812-1888) ein Streichquartett komponiert hat, ist wenigen bekannt. Erik Harms hat die Partitur dieses C-Dur-Quartetts aus den nur im Manuskript vorliegenden Stimmen erstellt. Die Quellenlage scheint dünn zu sein, eine Datierung liegt nicht vor, der Finalsatz ist von anderer Hand notiert. Bei diesem fällt auch heraus, dass er in c-Moll steht und damit dem Quartett keine tonale Geschlossenheit gibt. Wer hier zeitgenössische kammermusikalische Standards anlegt wie motivisch-thematisch Verarbeitung, eine tonal ausgereifte Planung, chromatische Harmonik oder Kontrapunktik, wird enttäuscht. Am ehesten noch kommen diejenigen auf ihre Kosten, die Cantables erwarten, so in den rossiniartigen Schlussgruppen des 2. Satzes.
Das Quartett ist traditionell viersätzig. Am überzeugendsten ist das Andante, hier wird ein typischer frühromantischer Duktus durch die Kontrastierung einer Ländlermelodie mit einem scherzoartigen Gegenthema erreicht. Der Kopfsatz zeigt kompositorische Schwächen, sowohl architektonisch (bei einer Exposition von 114 Takten beginnt der Seitensatz erst in T.83) als auch harmonisch (eine entwickelnde Überleitungspassage kadenziert in T. 53 in der Haupttonart ab). Die verschiedenen melodischen Gestalten werden kaum miteinander in Beziehung gebracht, im Finale stehen sie unvermittelt nebeneinander. Der klar gefasste Notentext ist nicht frei von Fehlern, im Scherzo in den Takten 55/56 ist die Viola um einen Ton verrutscht, im Finale Takt 184 ff. geht die 2. Violine nicht mit der Harmonie mit. In Flotows Quartett herrscht meist ein serenadenhafter Ton vor, bis auf einige hohe Stellen in der 1. Violine ist es nicht allzu schwer zu spielen. Dennoch ist es prinzipiell begrüßenswert, dass sich der Accolade-Musikverlag für die Veröffentlichung von Entlegenem engagiert.
Christian Kuntze-Krakau