street music

Werke von Nicolaus Richter de Vroe, Manfred Stahnke, Erkki-Sven Tüür, Erhan Sanri, Hanna Kulenty, Thüring Bräm und Wolfgang Heisig

Rubrik: CDs
Verlag/Label: ambitus amb 96 882
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 92

Die Besetzung hat zweifellos etwas Komisches: Bei einem Duo aus Geige und Kontrabass kommen einem unwillkürlich andere außermusikalische Gespanne in den Sinn wie Don Quijote und Sancho Pansa oder auch Laurel und Hardy. Doch wenn auch auf der CD mit dem Duo Slaatto-Reinecke das Groteske keineswegs ausgeklammert bleibt, so lauscht man doch verblüfft und mit zunehmender Begeisterung den aparten Klängen, die eine solch exotische Kombination hervorzubringen in der Lage ist.
Die beiden Musiker hatten sich Anfang der 80er Jahre in Montepulciano kennen gelernt. Da jedoch das Repertoire für diese Besetzung bekanntlich dünn gesät ist, war man auf Neukompositionen angewiesen. Im Laufe der Jahre entstanden so eigens für das Duo geschriebene Werke, von denen einige hier erstmals eingespielt sind. Herausgekommen ist eine bunte und nie langweilige Folge von stilistisch höchst unterschiedlichen Stücken – eine Fundgrube für Kammermusiker, die in ihren Programmen auch einmal die ausgetretenen Pfade verlassen wollen.
Der CD-Titel street music stammt von dem gleichnamigen Werk von Manfred Stahnke, das dem Andenken der 1994 verstorbenen bildenden Künstlerin Hadmut Oelke gewidmet ist, in deren Hamburger Atelier regelmäßig Konzerte mit Neuer Musik stattfanden. Stahnke vermischt dabei Elemente des Jazz und alter Musik in einem fremdartig konsonanten Stil. Von Jazz und Rockmusik sind auch zwei weitere längere Stücke beeinflusst: Symbiosis des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür beginnt mit der kontrastierenden Gegenüberstellung von ruhigen, obertönigen und schnellen, repetitiven Strukturen und mündet in einen groovigen Hauptteil, dessen Wurzeln im Jazz-Rock liegen. Sehr eindrucksvoll ist auch Going Up 1 der Polin Hanna Kulenty, in dem sich aus einem insistierenden Bass-Ostinato quasi-improvisatorische und zum Teil mikrotonale Motive der Violine lösen.
Zwei ironische Miniaturen stammen von Nicolaus Richter de Vroe und Thüring Bräm. Während Richter de Vroe mit Innere Wiener Straße mit minimalistischen Stilmitteln das Porträt einer verkehrsreichen Münchner Straße liefert, bezieht sich Bräm in Aria auf die terzenselige alpine Folklore, die kräftige Verzerrungen erleiden muss.
Skurrilität in Verbindung mit sehr strengen Strukturen zeichnet die drei Stücke des Türken Erhan Sanri aus. Sonnenbrand hinter dem Rolladen, Regenwurm quetscht sich durchs Nadelöhr oder Gefühlsausbrüche heißen die Stücke, in denen das Duo zum Teil durch den Schlagzeuger Nicolai Slaatto erweitert wird und die mit wenig motivischem Material und in einfachen Formen die Titel plastisch werden lassen.
Die Fünf Nadeldruckchoräle von Wolfgang Heisig schließlich sind Beispiele einer amüsanten Konzeptkunst, die auch den vokalen Einsatz der Interpreten verlangt. Zu spärlicher instrumentaler Begleitung wird hier beispielsweise das Lied Hänschen klein dem Prozess einer musikalisch-sprachlichen Entropie unterzogen oder das Fundstück „Nicht hinauslehnen“ auf die in ihm verborgenen semantischen Möglichkeiten hin analysiert.
Klaus Angermann

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