Strauss / Nono / Wagner
Neben den üblichen Kriterien wie Homogenität, Intonation und Artikulation fordert das SWR Vokalensemble Stuttgart regelmäßig dazu heraus, abseitige Kategorien für Chormusik zu beachten. Im Falle der aktuellen Einspielung muss (wiederholt) die Sing- bzw. Aufführbarkeit der Partituren mitbedacht werden. Anlass zur Probenarbeit gaben diesmal Richard Wagner (bearb. Clytus Gottwald), Richard Strauss und Luigi Nono.
Das anspruchsvolle Programm wird durch mehrere Aspekte inhaltlich zusammengehalten. Zum einen komponierten Wagner, Strauss und Nono vorrangig für Orchester, sodass hier allemal die Rubrik der eher selten aufgeführten Werke bedient wird. Und zweitens markieren die Komponisten durch ihr Schaffen nichts weniger als den musikhistorischen Übergang von der Spätromantik zur Moderne durch die Auflösung der traditionellen Harmonik. Selbst Mahlers bekanntes Ich bin der Welt abhanden gekommen originellerweise dargeboten als Bonus-Track bildet hier keine Ausnahme.
Insgesamt fiel dem Chor bei allen Werken die denkbar schwere Aufgabe zu, klanglich wie ein Orchester zu agieren bzw. eine charakterlich ähnlich intensive Klangdichte anzustreben. Die 16-stimmige Choraufteilung bei Wagner und Strauss ist folglich keine Klangmasse, sondern als möglichst breite Ausdruckspalette für die verschiedenen programmatischen Nuancen der Dichtungen zu verstehen. Gottwalds hervorragende Bearbeitungen der Wesendonck-Lieder versuchen, die Melodieführung der Originale beizubehalten und den dichten Orchestersatz auf den Chor zu übertragen.
Nicht herausragend, aber technisch solide gelingt es Marcus Creed und seinem Ensemble, die Werke im Grunde so erscheinen zu lassen, als hätte Wagner selbst wenigstens ein komplexeres Werk für Chor a cappella geschrieben. Im Ausdruck dagegen traumhaft sicher finden sich die Sänger durch die beiden außerordentlich schweren Partituren des Abends und der Hymne von Strauss. Das interpretatorische Problem beruht hier auf der konzeptionellen Nähe zum typisch Straussschen Orchestersatz, der trotz enormer klanglicher Mittel durch kluge Instrumentierung transparent bleibt. Dem Chor aber fehlen diese Klangfarben naturgemäß, sodass er die wesentlichen musikalischen Aussagen ständig aus dem enorm dichten Satz herausfiltern muss.
Als Höhepunkte der Einspielung müssen die Werke Nonos angesehen werden. Creed und der Chor schaffen es fernab jeglicher Klangschwelgerei, wenigstens einen Eindruck von den hochkomplexen seriellen Strukturen zu vermitteln (was vollends ohnehin nur mit der Partitur in der Hand gelingen kann). Besonders hier muss man sich zwangsläufig die Frage nach der eigentlichen Singbarkeit der Stücke stellen, so immens sind die Anforderungen an Intonationsvermögen und Gesangstechnik. Gelungen ist ebenso die Idee, den Einführungstext völlig aus literaturwissenschaftlicher Sicht zu gestalten. Anstelle der üblichen musiktheoretischen Schemata wird der Hörer bzw. Leser vielmehr für die textliche Grundlage und damit den charakterlichen Inhalt der Musik sensibilisiert.
Tobias Gebauer