Jonke, Gert

Strandkonzert mit Brandung

Georg Friedrich Händel / Anton Webern / Lorenzo da Ponte

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Jung und Jung, Salzburg 2006
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 83

Im Februar sechzig Jahre alt geworden und inzwischen als Nobelpreiskandidat gehandelt, ist der Österreicher Gert Jonke doch immer noch zu entdecken. Ähnlich wie bei seiner Landsfrau Elfriede Jelinek war auch Jonkes Mutter Pianistin. Am Konservatorium seiner Heimatstadt Klagenfurt studierte er Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt, in Wien Musikwissenschaft. So nimmt es nicht Wunder, wenn Musik in Jonkes Romanen und Theaterstücken eine gewichtige Rolle zukommt, vom Fernen Klang (1979) bis zur Chorphantasie (2003), einem „Stück für einen Dirigenten auf der Suche nach einem Orchester“. Strandkonzert mit Brandung, zum Geburtstag des Autors erschienen, versammelt drei Erzählungen, die um Lorenzo da Ponte, um Händel und Anton Webern kreisen.
„Geblendeter Augenblick. Anton Weberns Tod“ ist genau genommen, so will es Jonke über den Titelzusatz, „Eine Novelle“. Wie eng Musik und Literatur, Klang und Sprache beieinander liegen, zeigt Jonke nicht allein aufgrund des Themas. Der innere Monolog Raymond Bells, der Webern im September 1945 erschossen, der „diesen wirklich wichtigen Komponisten einfach abgeknallt“ hat, als er vor dem Haus die „erste Festzigarre seit dem Krieg“ rauchte, ist sprachlich dicht gearbeitet. Schachtelsätze, sich wiederholende Wendungen und Motive evozieren die Nähe zum Musikalischen, ausgefallene Komposita, Wortneuschöpfungen, „planetenmittelpunktabgeschlaucht“ etwa oder „Gemeingefährlichkeitslügengeschichten“ sorgen für ungewohnte Rhythmen und Klänge. Es sind keine Melodien, wie man sie bei einem Strandkonzert an der Kurpromenade erwartete, vielmehr ist es die Brandung und „deren zerschellende Sturmflutgischt“, die sich „sehr willig der Fuchtel seines Dirigentenstabes“ unterwirft, sind es die „riesigen Symphonien des Herrn Gustav Mahler, so groß wie das Meer“, die uns aus Jonkes Prosa anwehen.
„Der Kopf des Georg Friedrich Händel“ ist bereits 1988 erstmals erschienen. Wir erleben Händel als Erfolgskomponisten der „Feuerwerksmusik“ und des Messiah, aber auch als Unterlegenen von John Gay und dessen Beggar’s Opera, die das Publikum im Sturm nimmt, während das Interesse an Händel erlahmt. Alle „ihm je-mals zugemuteten unbrauchbaren Cembali“ möchte er „von der Kante des Kreidefelsens in Dover in den Kanal hinunterdonnern“. An seinem Todestag endlich scheint Händel sein eigener Körper zu „noch niemals gehörten Klängen“ zu werden.
Die den Band beschließende „Seltsame Sache“ gibt sich im Untertitel als ein „Melodram für Lorenzo da Ponte“ zu erkennen. Auch hier wieder tritt Jonkes unbändiger Sprachspieltrieb zutage, mutiert Lorenzo da Ponte zu Lorenz van der Bruck und dieser zu Lorenz Brückner, werden Spaghetti Bolognese zu Bölner Spagat. Ja, dieser da Ponte ist wahrlich, ganz wie Jonke selbst, ein komischer Vogel. Dass sich die Marseillaise im Notentext in das Melodram hineinschmuggelt und dass wir etwas von Messiaens Catalogue d’oiseaux erfahren und von John Adams, von Lachenmann, Rihm und Olga Neuwirth hören, steigert den Genuss und Gewinn an Jonkes wunderbarer Prosa.
Jürgen Gräßer