Kolbe, Corina

Stark durch internationale Allianzen

Hamburger Symposium über Musikvermittlung an europäischen Konzerthäusern

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 47

Der von einer heftigen Kostendebatte begleitete Bau der Hamburger Elbphilharmonie hat die Frage nach der Legitimation von Kultureinrichtungen hierzulande abermals in den Vordergrund gerückt. Finanzkrisen und der gesellschaftliche Wandel zwingen auch Musikinstitutionen in den europäischen Nachbarländern dazu, ihre künftige Arbeit verstärkt auf den Prüfstand zu stellen.

Was müssen Konzerthäuser leisten, um zu überleben, fragte die Hamburger Körber-Stiftung zum Auftakt ihres Symposiums „The Art of Music Education Vol. III“. Fallbeispiele aus unterschiedlichen Ländern zeigten, dass eine nachhaltige Vermittlung hochwertiger Musik damit einhergehen sollte, neue Publikumsschichten zu erschließen, gezieltes Lobbying zu betreiben und die Akteure auch international miteinander zu vernetzen. Elf Konzerthäuser konnten auf der mittlerweilen dritten Tagung der Reihe durchaus beachtliche Fortschritte vorweisen. Matthias Naske, Generaldirektor der 2005 eröffneten Philharmonie Luxembourg, berichtete von dem Konzertzyklus „Loopino“, der drei- bis fünfjährige Kinder zur kreativen Auseinandersetzung mit Musik anregen soll. Bekannte Interpreten wie der Pianist Pierre-Laurent Aimard, die Bratscherin Tabea Zimmermann und das Fauré Quartett beteiligen sich an Aufführungen. Durch „Loopino“ und weitere Programme für ältere Kinder und Jugendliche hat die Philharmonie nach Angaben von Naske bereits viele Abonnenten hinzugewonnen. Zu den internationalen Partnern gehören das Lucerne Festival, die Kölner Philharmonie, das Konzerthaus Wien und die Moskauer Philharmonie.

Die traditionsreiche Gesellschaft der Musikfreunde in Wien will mit ihrem Projekt Am@deus ebenfalls einem jüngeren Publikum klassische Musik auf höchstem Niveau nahe bringen. Immerhin wurde dort schon 1989 auf Betreiben des Intendanten Thomas Angyan eine Jugendund Education-Abteilung gegründet. Am@deus ermöglicht Oberstufenschülern aus ganz Österreich den kostenlosen Besuch von Generalproben großer Orchester im Goldenen Saal des Musikvereins sowie Gespräche mit Künstlern. Wenn junge Leute eine Symphonie von Dvorák als „geil“ bezeichneten, erkenne man, wie sehr sie das hautnahe Liveerlebnis anspreche, meinte die Leiterin des Education-Programms, Désirée Hornek.

Vorreiter in Europa sind unbestritten die Briten, die bereits seit den 1970er Jahren Brücken von der Musik zur Gesellschaft schlagen. Dem Musikvermittlungszentrum „The Sage Gateshead“ im Nordosten Englands ist es durch kontinuierliche Basisarbeit gelungen, Menschen aus allen Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten an vielfältigen Education-Projekten zu beteiligen. Dazu gehöre das „Silver Programme“, das sich gezielt an ältere Menschen wende, erklärte die Verantwortliche für die Vermittlungsaktivitäten, Katherine Zeserson. „The Sage Gateshead“ ist auch Partner des bislang staatlich geförderten Programms „Sing up“, das seit 2007 nahezu flächendeckend an britischen Grundschulen verankert wurde.

Die Tatsache, dass „Sing up“ seit Frühjahr 2012 keine öffentlichen Mittel mehr erhält, stellt das Projekt allerdings vor große Herausforderungen. Um seine Zukunft zu sichern, hält Zeserson Kooperationen mit anderen Ländern für wichtig. Das Barbican Centre in London, das bei seinen interdisziplinären Vermittlungsprogrammen mit der Guildhall School of Music & Drama zusammenarbeitet, hat bereits weitreichende internationale Kontakte geknüpft. Anna Rice von der Barbican Guildhall Creative Learning Division berichtete von der Zusammenarbeit mit dem Jazz at Lincoln Centre Orchestra (JALCO), dem Leipziger Gewandhausorchester, dem Royal Concertgebouw Orchestra sowie New York Philharmonic und Los Angeles Philharmonic, die zu Residenzen mit Konzerten, Meisterklassen und Workshops nach London kamen.

Mit dem Einfluss neuer digitaler Technologien befasst sich die Casa da Música im portugiesischen Porto. Ihr Projekt „Digitópia“ lädt vor allem Jugendliche dazu ein, an Laptops zu komponieren und sich miteinander auszutauschen. Education-Leiter Jorge Prendas, der auch Informatik studierte, präsentierte in Hamburg ungewöhnliche Projekte wie ein iPhone-Orchester und computergesteuerte Roboter, die javanesische Gamelan- Instrumente spielen. Prendas entwickelte darüber hinaus spezielle Programme für Gefängnisse, Hospitäler, Behinderte und Senioren.

Angesichts der zunehmenden Vernetzung der Konzerthäuser mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen wurde auf dem Symposium auch die Frage diskutiert, ob die Musikvermittlung in erster Linie ein neues Publikum für die Häuser erschließen oder soziale Zwecke verfolgen sollte. Idealerweise lassen sich beide Zielsetzungen verbinden. Christoph Becher von der Elbphilharmonie zeigte allerdings anhand der Reihe „Dr. Sound im Einsatz“, dass die Suche nach neuen Abonnenten nicht überall im Vordergrund steht. Das Projekt richtet sich an Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, die teils an sozialen Brennpunkten in Hamburg leben. Im Rahmen des Projekts nehmen sie Geräusche auf der Straße auf und erstellen daraus Klangcollagen, die in Kinderkonzerte in ihren Stadtteilen integriert werden. Erst zum Abschluss besuchen sie die Laeiszhalle und lernen ein traditionelles Konzerthaus kennen. Die Kinder sollten in der Umgebung „abgeholt“ werden, in der sie mit ihren Familien lebten, erklärte Becher.

Die Vielfalt der bestehenden Education-Initiativen auf einen festen Nenner zu bringen, ist nach Ansicht der Symposiumsteilnehmer nicht nur schwierig, sondern auch gar nicht wünschenswert. Es gehe vielmehr darum, sich durch einen Erfahrungsaustausch gegenseitig zu unterstützen, Handlungsbedarf für die Zukunft zu ermitteln und die Position der Education-Abteilungen in den Konzerthäusern durch gezieltes Lobbying zu stärken.

Eine von der European Concert Hall Organisation (ECHO) und der Körber-Stiftung in Auftrag gegebene Studie, die in Hamburg vorgestellt wurde, wertet bisherige Ergebnisse bei der Musikvermittlung in Europa aus und steckt künftige Ziele ab. Aus der von Wissenschaftlern der University of London erstellten Untersuchung An initial benchmarking study of Education, Learning and Participation geht unter anderem hervor, dass die Zahl und die Bandbreite der Projekte deutlich zugenommen hat. Der Fokus liege auf der Altersgruppe der Sechs- bis Zwanzigjährigen, während für Erwachsene und gemischte Altersgruppen weniger Angebote bereitstünden, heißt es. Die Ausweitung der Aktivitäten auf die vernachlässigten mittleren Generationen erscheint nicht nur wegen der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung angebracht. Schließlich sind viele von ihnen Eltern, die durch eigene Erfahrungen auch die Education-Initiativen für ihre Kinder besser einschätzen lernen können.

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