Johann Sebastian Bach

St. John Passion

Joanne Lunn (Sopran), Alex Potter (Alt), Nicholas Mulroy (Tenor), Peter Harvey (Bass), Concerto Copenhagen, Ltg. Lars Ulrik Mortensen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics 0302071BC
erschienen in: das Orchester 9/2023 , Seite 68

Nach der ersten Aufführung am 7. April 1724 hat Bach mehrfach teils erhebliche Änderungen an der Johannespassion vorgenommen. 1725 tauschte er den Eingangs- und Schlusschor sowie mehrere Arien aus. Von einer verschollenen dritten Fassung (um 1730) wissen wir, dass er situationsbedingt die Instrumentation änderte: gedämpfte Violinen ersetzten die Violen d’amore, die Orgel die Laute. Eine 1739 begonnene revidierte Reinschrift der Partitur unterbrach Bach in der Nr. 10, vermutlich, weil die geplante Aufführung abgesagt wurde. Später ließ er die Arbeit von einem Kopisten beenden, wohl auf Basis der heute verschollenen Partitur von 1724. 1749 führte Bach das Werk mit zum Teil verändertem Text und erweiterter Instrumentalbesetzung auf, ohne die differenzierten Lesarten seiner Teilrevision im Aufführungsmaterial zu berücksichtigen. Da keine endgültige Fassung existiert, orientieren sich die gängigen Editionen und Aufführungen an der ergänzten Partitur von 1739.
Dies ist auch bei der vorliegenden Neuproduktion der Fall. Wir hören das Werk in der kleinstmöglichen Besetzung. Den vier Gesangssolist:innen, die auch alle Chorsätze bestreiten, sind vier Ripienisten zugeordnet, die auch die Nebenrollen singen. Dieses Vokalensemble meistert seine Aufgabe angemessen. Die Violinen sind je dreifach, Viola, Cello und Bass einfach besetzt. In Verbindung mit Fagott, Orgel und Cembalo ist die Basslinie gut repräsentiert, die einzelne Viola jedoch kaum hörbar. Das Cembalo begleitet im Evangelienbericht die direkte Rede, diese Zuordnung ist jedoch nicht überall beibehalten. In der Arie „Zerfließe, mein Herze“ wurde die Basso-continuo-Stimme punktuell um eine Oktav erhöht, klanglich durchaus sinnvoll, aber nicht völlig konsequent. Das Satzpaar „Betrachte – Erwäge“ rechnet mit zwei obligaten Violen d’amore. Der Klang ist hier so wenig spezifisch, dass man fast an gedämpfte Violinen denken möchte, wenn nicht das in Takt 9 erklingende f (von Bach später in ein a für Violine geändert) den Einsatz eines zumindest fünfsaitigen Instruments belegen würde. Sehr gelungen ist das Gambensolo der Arie „Es ist vollbracht“, in der auch Alex Potter wieder zeigt, dass er zu den Allerbesten seines Stimmfachs gehört. Peter Harvey erweist sich ebenso als überlegener Gestalter seiner Arien und der Jesuspartie. Nicholas Mulroy bewältigt seinen Part nicht ohne Anstrengung, besonders in der Arie „Ach, mein Sinn“. Gelegentliche Intonationstrübungen fallen auf in den Arien von Joanne Lunn, wobei ihr Wechsel von ­Vibrato zu Non-Vibrato nicht immer motiviert erscheint, ebenso das Auslassen einiger Wechselnoten in „Ich folge dir gleichfalls“.
Der Begleittext diskutiert das Problem einer gelegentlich unterstellten antijüdischen Haltung der Johannespassion. Mit dem Hinweis auf die Choralstrophe „Ich, ich und meine Sünden“ sieht der Verfasser die Frage nach Schuld und Verantwortung an die Gemeinde und den einzelnen Hörer gerichtet. Jürgen Hinz

 

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