Casken, John

Soul Catcher

for Marimba and CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 67

Bereits 1988 schrieb John Casken, einer der bekanntesten Komponisten Großbritanniens, dessen Werke international von herausragenden Interpreten gespielt werden, eine elektroakustische Musik zu einer Tanzperformance mit dem Titel Soul Catcher. Dabei ging er ausschließlich von Marimbafonklängen aus, die er mit den für die damalige Zeit typischen analogen Studiotechniken bearbeitete. Dem Titel entsprechend – der Soul Catcher ist ein schamanistisches Amulett, das eingesetzt wird, um eine dem Körper durch böse Zaubermächte entwendete Seele zurückzuholen – klingt die Musik sehr archaisch. Dem Marimbafon abgewonnene Anspielungen an die afrikanische Mbira, assoziationsreiche offene Klänge und dröhnende Bässe beziehen sich dabei nicht konkret auf eine bestimmte außereuropäische Kultur, sondern schaffen mit Klangfarbenreichtum und den intensiven Repetitionen ihrer Rhythmen eine synkretistische Weltmusik, die mit ihrer speziellen musikalischen Dramaturgie sicher sehr gut als Ballettmusik funktioniert hat. Nach der Premiere lag das Werk lange Zeit ungespielt in der Schublade des Komponisten, bevor sich John Casken zu einer neuen Version entschloss. Diese liegt nun im Schott-Verlag vor: ein guter kompositorischer Griff, der einen Marimba-Solisten zum Partner der Elektronik macht.
Die Marimbastimme ist halb improvisiert, oft werden kurze melodisch-rhythmische Motive variiert und wiederholt. Die Herausforderung für den Spieler besteht darin, möglichst lebhaft mit der Zuspiel-CD zu agieren. Das erfordert eine sehr gute Kenntnis des Materials und ist sicher nicht immer ganz einfach, denn anders als Livemitspieler interagiert das Tonband nicht!
Das Aufführungsmaterial ist vorbildlich gestaltet: Die CD liegt den Noten bei, sie muss also nicht, wie sonst oft bei Werken mit Elektronik, umständlich (und teuer) ausgeliehen werden. Die Transkription des Zuspielbands liefert die nötigen Stichnoten und ist leicht verständlich, genaue Minuten- und Sekundenangaben ermöglichen die exakte Synchronisierung des Zusammenspiels.
Der technische Schwierigkeitsgrad der Marimbastimme ist nicht besonders hoch, ein befriedigendes musikalisches Ergebnis wird sich in jedem Fall allerdings erst nach vielen Stunden des Hörens, Analysierens
und Übens einstellen. Dieser Aufwand lohnt, vor allem wenn es sich um die Ersterfahrung des Solisten mit dieser besonderen Form des Zusammenspiels von Mensch und (Tonband-)Maschine handelt. Seit Stockhausens Kontakten von 1959 für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug sind unzählige Werke dieses Genres entstanden, in dessen besten Exemplaren den Komponisten und Interpreten spannende Durchdringungen und klangliche Amalgamierungen gelingen. Durch das eigene Spiel den Kontakt zu einem starren Partner aufzunehmen und diesen zu beleben, das können Glücksmomente sein – für Akteur und Zuhörer!
Stephan Froleyks