Werke von Raminta Šerkšnytė, Giedrius Kuprevičius, Mieczysław Weinberg und Jēkabs Jančevskis

Songs of Fate

Kremerata Baltika, Gidon Kremer (Violine), Vida Miknevičiūte (Sopran), Magdalene Ceple (Violoncello)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: ECM
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 75

Vorliegende CD mit Gidon Kremer und der Kremerata Baltica mit dem Namen Songs of Fate hat durch den schrecklichen Überfall der Hamas eine ungewollte, aber beklemmende Aktualität erhalten. Bereits 2019 und 2022 spielten die Interpreten Kompositionen unter anderem mit Gesängen von vorwiegend baltischen Tonkünstlern sowie von Mieczysław Weinberg ein. Gidon Kremer selbst bringt es im sehr persönlich verfassten Vorwort auf den Punkt: Er sieht für uns alle die große Aufgabe, die zur Verfügung stehende Zeit mit Sinn und Bedeutung zu füllen. „Wenn ich darüber nachdenke“, so Kremer, „was das Fundament des Albums Songs of Fate ausmacht, stelle ich … fest, dass sich vieles um die Idee der ,Jewishness‘, des ,Jüdischseins‘ dreht.“ Inspiriert habe ihn die Beschäftigung mit seinem Vater, der während des nationalsozialistischen Terrors „35 Familienmitglieder im Ghetto von Riga verloren hat – darunter seine Frau und ihre elfeinhalb-jährige Tochter“. Dabei erinnert sich Kremer an die emotionalen Ausbrüche des Vaters in seiner Kindheit und an seine ständigen Schuldgefühle. Zum anderen sieht er aber auch eine bedeutende Prägung im deutsch-schwedischen Hintergrund seiner Mutter und dem Baltikum, wo er geboren wurde. Ein besonderes Anliegen ist ihm, mit dieser Auswahl der Musiken jeden Menschen anzusprechen und „uns an die tragischen Schicksale auf unserem Weg zu erinnern“.
In diesem Zusammenhang sieht man die insgesamt zwölf Pretiosen in einem anderen Licht. Dies ist keine CD zum „Mal-Anhören“, sie ist als Hintergrundmusik nicht geeignet, sondern sie gibt den Weg frei zur Kontemplation, zum empathischen Nach-Sinnieren, wo Bilder im Kopf entstehen. So beispielsweise mit dem ersten, erst 2021 komponierten Stück This too shall pass von Raminta Šerkšnytė. Weitere Kompositionen sind jüdische Gebete, die hervorragend intoniert werden von Vida Miknevičiūte, wie David’s Lamentation oder das Penultimate Kaddish von Giedrius Kuprevičius, welche die Atmosphäre jüdischen Glaubens bestens nachempfinden.
Im Mittelpunkt stehen insgesamt sechs Kompositionen von Mieczysław Weinberg, ebenfalls jüdischer Provenienz – wie Viglid, das jiddische Oyfn grinem bergele oder Der yesoymes brivele aus den Jüdischen Gesängen op. 13 von 1943. Andere wie Kujawiak von 1952 sind zudem noch sowjetisch-russisch geprägt. Die CD schließt mit Lignum des 1992 geborenen Jēkabs Jančevskis, das erst 2017 entstanden ist. Es ist zugleich das umfangreichste Stück, das neben den Streichern unter anderem mit „wind chimes“ und einer sogenannten „Svilpaunieki“ (eine Art finnische Okarina) besetzt ist, die wegen des repetierenden Einsatzes herausfordert.
Werner Bodendorff