Corelli, Arcangelo

Sonaten

für Violine und Basso continuo op. 5, Band 1: I-VI/Band 2: VII-XII, Urtext, hg. von Christopher Hogwood und Ryan Mark, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 73

´Corellis erstmals im Jahr 1700 veröffentlichte Sonaten für Violine und Basso continuo waren für das Violinspiel epochal. Sie wurden in zahlreichen Neuauflagen nachgedruckt. Bis heute sind sie ein wichtiger Bestandteil der Geigenausbildung und zugleich ein wertvolles Konzertrepertoire. Allerdings hat sich die Beschäftigung mit diesen Werken durch die historisch informierte Aufführungspraxis entscheidend geändert. Dabei werden auch an das Notenmaterial besondere Anforderungen gestellt, welche die neue Ausgabe von Christopher Hogwood und Ryan Mark vorbildlich erfüllt.
Der Musiker oder Musikpädagoge erhält hier ein umfangreiches Notenmaterial. Das Faksimile zeigt das Notenbild des Erstdrucks: die Violinstimme und im zweiten System den bezifferten Basso continuo. Für den in historischem Generalbassspiel bewanderten Cembalisten wird dieses Notenbild als Stimme mitgeliefert. Es lässt die Freiheit, welche die Musiker damals hatten. Auch für die Violine gibt es eine Stimme, die den ursprünglichen Notentext wiedergibt.
Nun wissen wir allerdings, dass der Notentext insbesondere von Werken des frühen Barock keineswegs die Musik so aufschreibt, wie sie damals gespielt wurde. Musik erschloss sich damals nämlich nicht allein aus dem Notentext. Er legte vielmehr nur das klanglich-harmonische Gerüst, den Rhythmus und den Verlauf der Melodie fest. Der Cembalist hatte einige Freiheit, wie er dieses Gerüst verwirklichte, der Spieler des Melodieinstruments konnte vor allem die langen Noten in den langsamen Sätzen verzieren und mit eigenen Ausdrucksnuancen versehen. Musik war damals auch Improvisation.
Wie diese funktioniert haben könnte, zeigt Hogwood in den weiteren Stimmen: So fügt er eine Stimme mit einem ausgeschriebenen Generalbass bei. Dafür wurde er bei Antonio Tonelli fündig, von dem ein komplett ausgesetzter Continuopart von Corellis op. 5 erhalten ist. Für den Violinpart gibt es eine weitere Stimme, in der die einzelnen Sätze der Sonaten mit Verzierungen, wie sie von Geigern des 18. Jahrhunderts wie Tartini, Dubourg und anderen überliefert sind, abgedruckt werden.
Vor einigen Jahrzehnten konnten die wenigsten Pianisten oder Geiger frei von Notenbuchstabieren Musik machen. Die Traditionen des Improvisierens sind weitgehend unterbrochen. Nur unter Organisten war Improvisation noch üblich. Hogwoods Ausgabe zeigt historische Modelle. Man muss nicht genau die Verzierungen wie bei Dubourg oder Tonellis Continuo ausführen, aber man kann. Doch noch besser ist, wenn man hier lernt, wie lebendig damals musiziert wurde, und dies für eine eigene, vom Notenbuchstabieren freie Spielpraxis umsetzt. Hierfür bietet diese Edition reichlich Anschauungsmaterial. Sie ist für Corellis op. 5 ein Glücksfall.
Franzpeter Messmer

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