Jarnach, Philipp

Sonate / Romancero / Aria / Rhapsodien

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio WDR 3 67188
erschienen in: das Orchester 11/2007 , Seite 91

Wird er 25 Jahre nach seinem Tod wiederentdeckt? Der Komponist Philipp Jarnach hat uns einiges zu sagen, das jedenfalls dokumentiert schon allein diese Aufnahme mit Kammermusik in der Besetzung Violine/Klavier. Jarnach (1892-1982) – er stammte aus spanischem Elternhaus, wurde in Paris geboren – war immerhin ein prominenter Lehrer. Kurt Weill gehörte zu seinen Schülern. Philipp Jarnach, mit Busoni bestens befreundet und daher prädestiniert, um nach Busonis Tod den Doktor Faust zu vollenden, leitete Kompositionsklassen in Zürich, Köln und Hamburg. Dort war er zuletzt zehn Jahre (bis 1959) als Direktor der Musikhochschule tätig.
Die vier Aufnahmen geben einen guten, wenn auch nicht repräsentativen Ausschnitt wieder: zweimal reine Klavierstücke (Romancero I, 1924) und Sonate II (1952) sowie zwei Duo-Stücke (Aria von 1918/22 und drei Rhapsodien op. 20 von 1927). Kammermusik, die überzeugt – und die irgendwo „dazwischen“ steht: zwischen Tradition und Avantgarde, zwischen Tonalität und (behutsamer) Atonalität, zwischen motorischem Streben und lyrischem Verweilen, zwischen Neoklassik und Konvention. Dass Philipp Jarnachs Œuvre durch zwei Weltkriege, durch die Nazi-Katastrophe und durch den zögerlichen, suchenden Neubeginn in den 1950er Jahren aus den Musikschlagzeilen geriet, hat vielleicht etwas mit dem Schwerpunkt im Schaffen des Neu-Kölners und -Hamburgers zu tun. Denn Jarnach wartet weder mit sinfonischen „Krachern“ noch spektakulären Opernwerken auf. Sein Interesse gilt der kleinen, intimen, kammermusikalischen Form. Bei Klavier und Geige fühlt er sich zuhause.
Die Klavierkompositionen dieser CD – die frühe Romancero-Sonatina und die reife Sonate II – weisen ihn als Kenner des Klavierklangs aus. Da steht Kraft neben Meditation, Geist neben Sinnlichkeit, Humor neben Ernst, Gedankentiefe neben spontaner Intuition. Jarnachs Musik klingt nach balladeskem Pathos und heftigen Intervallsprüngen. Sie besitzt sprühende Energien und überraschende Originalität. Die Kompositionen für die Kombination Violine und Klavier bewegen sich ebenfalls auf diesem Terrain der Kontraste, der Behauptungen, der kühnen Türmung von Mustern und Rastern.
Jarnach strebt zumal in den Rhapsodien einer neuen Dimension zu, denn der mitreißende Jazz mit seinen besonderen Konditionen beflügelt den Komponisten. Er reizt die Klanglichkeit, virtuos für beide Instrumente ausgeführt, mit höchster Raffinesse und kompositorischem Handwerk aus. Wobei diese drei Rhapsodien so erzählend wie illustrierend Informationen über das Musikverständnis eines Meisters der Kontrapunktik verraten.
In den beiden Interpreten besitzt Jarnach zwei souveräne Geistesverwandte, die dem technischen Anspruch aller Stücke ohne Probleme gewachsen sind: Kolja Lessing und Ingolf Turban, exzellente Kammermusiker, investieren ebenso Temperament wie Konzentration in ihre Ausführungen. Jarnach sollte Chancen zu weiteren Entdeckungen bekommen. Die „Ausgrabung“ lohnt in jedem Fall.
Jörg Loskill