Furtwängler, Wilhelm / Ludwig van Beethoven

Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 D-Dur / Sonate für Violine und Klavier Nr. 8 G-Dur op. 30/3

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler PH 11023
erschienen in: das Orchester 09/2011 , Seite 80

„Im tiefsten Innern bin ich Komponist und habe mich nur aus Not heraus ins Dirigieren geflüchtet.“ Diese private Selbsteinschätzung Furtwänglers mag überraschen, da es doch wenig bekannt ist, dass er in jungen Jahren mit Studien bei Joseph Rheinberger und Max von Schillings die Grundlage für eine Komponistenlaufbahn legte. Seine wenigen Werke sind allenfalls biografische Randnotizen, im Musikleben spielen sie fast keine Rolle.
So ist die vorliegende Einspielung seiner 1938/39 entstandenen zweiten Violinsonate von besonderem Interesse. Mit einer Spieldauer von 43 Minuten verlangt das dreisätzige Werk von den Interpreten wie von den Zuhörern eine außerordentliche Kraftanstrengung. Der erste Satz folgt
einem erweiterten Sonatensatzschema, die Exposition stellt drei Themen vor. Da sie keine prägnanten Motive und Begrenzungen aufweisen und unmittelbar weiträumig fortgesponnen werden, fällt es nicht leicht, in den gewaltigen Dimensionen die Formen und Strukturen zu erfassen. Der langsame zweite Satz gliedert sich in drei in sich geschlossene Abschnitte, deren letzter in eine ausladende Coda mündet. Dem aufmerksamen Hörer werden motivische Verknüpfungen zwischen den einzelnen Themen auffallen. Der letzte Satz, ein sehr frei gestalteter Sonatensatz, bringt nun, anders als die vorhergehenden, ausgeprägte Kontraste ins Spiel. Motivische Reminiszenzen schaffen Verknüpfungen zum zweiten Satz.
Die Tonalität des gesamten Werks ist durchweg den Mitteln des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Nie verlässt der Komponist den von seinen Lehrmeistern vorgegebenen Rahmen. Vielleicht ist dies der Grund, warum „moderne“ konstruktive Elemente im Hintergrund bleiben. Als der Komponist 1940 mit dem Geiger Georg Kulenkampff das Werk aufführte, wurde dem Programmheft eine thematische Analyse beigefügt, die im Booklet der vorliegenden CD wiedergegeben ist. Diese stellt der romantisch-mystischen Aura der Musik einen Aspekt von Sachlichkeit entgegen und kann dem Hörer, der die Übersicht behalten will, vorzügliche Dienste leisten.
Den beiden Interpretinnen gelingt ein überzeugendes Plädoyer für ein sperriges Werk. Wenn dynamische Extremwerte nicht immer voll ausgereizt werden können, so ist ihnen dies nicht anzulasten – es liegt an den weit überdimensionierten musikalischen Einheiten und nicht zuletzt an einem stets vollgriffigen Klaviersatz, der eine wenig idiomatisch geführte Violinstimme naturgemäß ins Hintertreffen bringt.
Beide Violinsonaten Furtwänglers lassen sich wegen ihrer Länge nicht auf einer CD kombinieren. So wurde als Ergänzung Beethovens Sonate
op. 30 Nr. 3 gewählt. Den Eröffnungssatz gehen die Interpretinnen mit vorwärtsdrängendem Impetus an, der allerdings bei der Wiederholung und in der Reprise in Tempo und Charakter etwas abgeschwächt erscheint. Die Tempovorschrift molto moderato für den zweiten Satz befolgen sie entschiedener als andere. Trotz des langsamen Tempos fällt niemals die Spannung. Leider finden sie keinen Konsens für den Umgang mit den Staccatopunkten über etlichen punktierten Achtelnoten. Der Spielfreude und Virtuosität des letzten Satzes bleiben die beiden Interpretinnen nichts schuldig.
Jürgen Hinz

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