Brahms, Johannes
Sonate f-Moll für Viola und Klavier
op. 120 Nr. 1
Alle Interpreten eines Melodie-Instruments leiden permanent darunter, dass sie beim Proben und Konzertieren im Gegensatz zu den Pianisten nicht die vollständige Partitur vor Augen haben. Ich begrüße es außerordentlich, dass jetzt hier Abhilfe geschaffen wird und bin überzeugt davon, dass diese praktische Hilfestellung viele Interpretations-Ansätze bereichern und erweitern wird.
Was Christoph Poppen auf der Internet-Seite des Schweizer Partitura Verlags vollmundig anpreist, ist eine neue Geschäftsidee: Analog zu der sonst nur bei Klavierstimmen üblichen Praxis wird nun grundsätzlich allen Beteiligten von Kammermusikwerken eine Spielpartitur zur Verfügung gestellt, bei der zusätzlich zur eigenen Stimme auch die Partien der anderen Instrumente verkleinert abgedruckt sind. Das System ist nicht auf Duo-Sonaten beschränkt, sondern findet auch auf größere Besetzungen wie Klaviertrios oder Streichquartette Anwendung. Die ersten Werke von Beethoven, Brahms, Dvor?ák und César Franck sind bereits erschienen, weitere sollen folgen.
Im Fall der vorliegenden f-Moll-Bratschensonate von Brahms hat man auf die eigentliche Neuerung, die Spielpartitur der Viola, offensichtlich viel Sorgfalt verwendet. Insbesondere das augenscheinlichste Problem, nämlich die doppelte Anzahl der Wendestellen (22 Seiten Spielpartitur gegenüber 11 Seiten Einzelstimme), ist durch optimale Seitenaufteilung durchgehend praktikabel gelöst. Die kurze E-Dur-Episode im zweiten Satz wurde analog zum Klavier mit einem entsprechenden Vorzeichenwechsel versehen, um die Lesbarkeit der Stelle zu erleichtern. Außerdem wurden häufige Wechsel zum Violinschlüssel nach Möglichkeit vermieden (freilich zum Preis vieler Hilfslinien). Dennoch bleibt die grundsätzliche Frage, ob eine Spielpartitur eigentlich tatsächlich einem permanenten Leiden Abhilfe schafft oder die zusätzlichen Notensysteme stattdessen nicht eher zu einer neuen Art von Unübersichtlichkeit führen vielleicht ist weniger am Ende ja doch mehr?
Die Klavierstimme schneidet im Vergleich mit den vorhandenen Standard-Ausgaben nicht immer gut ab. Weil man sich offensichtlich auf einen Umfang von 24 Seiten beschränken wollte, ist das Notenbild sehr gedrängt und die Wendestellen oftmals ungünstig; Hilfsvorzeichen gibt es nur wenige, und Stimmführung, Akkordverteilung und Behalsung sorgen mitunter für gewisse Irritationen. Immerhin erhält man in der beigefügtem Solo-Stimme tatsächlich den Viola-Part (und nicht, wie meistens üblich, die leicht differierende Klarinetten-Stimme).
Weiteres Manko: Angaben zur Grundlage des Notentextes werden nicht gemacht. So bleibt am Ende auch unklar, inwieweit die (wenigen) Abweichungen vom Urtext bewusste Herausgeber-Entscheidungen oder schlicht Fehler sind. Zum Preis von 18,50 Euro (gängige kritische Ausgaben kosten etwa die Hälfte) erscheint die Partitura-Ausgabe freilich nur für diejenigen wirklich attraktiv, die sich von der Spielpartitur der Solo-Stimme einen entscheidenden Vorteil versprechen.
Joachim Schwarz