Aljabjew, Alexander A.
Sonate e‑Moll für Violine und Klavier (1834)
Partitur und Violinstimme
Der Lebenslauf von Alexander Aljabjew (auch Alabieff, Alabiev, Alyabyev, 1787–1851) zeigt eine für viele Künstler, Intellektuelle und Offiziere des zaristischen Russlands typische Schicksalskurve. In Tobolsk (Westsibirien) als Spross einer wohlhabenden Familie geboren, komponierte er bereits als junger Mann in Moskau und St. Petersburg Werke, die eine Verschmelzung von slawischer Volksliedkultur und westlicher Kompositionstechnik erkennen lassen. Im Jahr 1825 wurde er verhaftet offiziell wegen einer Prügelei beim Kartenspiel, die für den Kontrahenten tödlich endete, aber in Wahrheit wohl eher wegen seiner politischen Gesinnung als Sympathisant der Dekabristen, einer revolutionären Bewegung, die sich gegen das zaristische Regime richtete. Er wurde drei Jahre lang eingekerkert und dann nach Sibirien verbannt, wo er als Pianist und als Dirigent großer Bühnen- und Orchesterwerke wirkte. Schließlich wurde er begnadigt und durfte 1843 nach Moskau zurückkehren.
Aljabjew hinterließ ein umfangreiches Schaffen an Bühnenwerken, Sinfonien, Kammermusikwerken und Liedern (Liste unter www.russisches-musikarchiv.de). Im Westen wurde er aber lediglich durch die Romanze Die Nachtigall bekannt, die Franz Liszt bearbeitete. Dass Aljabjew jedoch mehr als eine Fußnote in Musiklexika wert ist und dass es bereits vor Glinka eine eigenständige russische Instrumentalmusik gab, belegt seine einzige Violinsonate aus dem Jahr 1834. Stilistisch zeigt sie eine reizvolle Verbindung zwischen rustikalen Folklore-Tanzrhythmen besonders im Schlusssatz und den Marschrhythmen und Kantilenen der französischen Revolutionszeit. Wie für viele andere, auch westeuropäische Komponisten der Weber-Generation waren für Aljabjew neben der Wiener Klassik die Opern und Violinwerke der französischen Vorromantik die stärkste Inspirationsquelle. Man darf spekulieren, ob er nicht direkt durch Pierre Rode beeinflusst wurde, während dieser 1804 bis 1808 am Zarenhof engagiert war.
Nachdem bereits seit einigen Jahren eine CD-Aufnahme der etwa zwanzigminütigen Violinsonate in der Reihe Gilels-Legacy auf dem Label Doremi (Liebermann) vorliegt, bietet der Tonger-Verlag nun eine schön gedruckte Notenausgabe an. Die von Jörg Michael Abel besorgte Ausgabe basiert auf einer russischen Ausgabe aus dem Jahr 1962. Dankbar werden alle Geiger für das musikalische Urteilsvermögen und die Praxisbezogenheit der Herausgeber sein: Sie bieten Hilfeleistungen an, die heute bei Puristen verpönt sind, aber nur dazu dienen können, aus einem trockenen musikalischen Dokument ein lebendiges Werk zu machen, das vielleicht seinen Weg in das Violinrepertoire finden kann.
So findet man Vorschläge für kurze Sprünge, die Alabjews Sequenzenseligkeit etwas mindern helfen, ohne die Form zu verzerren. Außerdem verlegen die Herausgeber einige Klavierpassagen in die Violine, um das Ungleichgewicht zwischen den Instrumenten etwas auszutarieren. (Es handelt sich nämlich nicht um eine Violinsonate im Sinne Beethovens, sondern um eine begleitete Klaviersonate in der französischen Tradition des späten 18. Jahrhunderts, deren Violinstimme musikalisch oft eher ein Zusatz ist und den technischen Anspruch der Mozart-Zeit nicht überschreitet.) Wer aber lieber das Original spielen möchte, kann dies leicht tun, denn die Zusätze sind gekennzeichnet.
Eine solche optische Kennzeichnung hätte man sich allerdings auch für die dynamischen Zutaten und Phrasierungsbögen mindestens in der Violinstimme in der Partitur gewünscht. Aber dies tut dem Verdienst der Herausgeber und des Verlags keinen Abbruch. Solche Ausgaben sind eine Bereicherung für die musikalische Praxis.
Martin Wulfhorst