Tchemberdji, Katia
Sonate
für Klarinette und Klavier, Partitur und Stimme
Die 1960 in Moskau geborene Komponistin Katia Tchemberdji erfuhr ihre musikalische Ausbildung in ihrer Heimatstadt u.a. bei Nikolai Korndorf, Juri Cholopow und Sergej Balassanjan. Von 1984 bis zu ihrer Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1990 unterrichtete sie an der Gnessin-Musikhochschule in Moskau. Nicht nur in ihrem kompositorischen Schaffen nimmt die Kammermusik einen besonderen Stellenwert ein: Tchemberdji tritt auch als Pianistin bevorzugt in kammermusikalischen Ensembles auf.
Die jetzt erschienene, bereits 1990 entstandene Sonate für Klarinette und Klavier hat drei Sätze und eine Spieldauer von etwa 18 Minuten. Auffallend ist die Sparsamkeit der kompositorischen Mittel. Das Notenbild ist übersichtlich, vielfach nur zweistimmig und zeigt keine rhythmisch komplexen Strukturen. Die Aussagekraft der Musik erwächst aus der eindringlichen Melodik und der formalen Stringenz. Der erste Satz hebt mit einer von einem hohen Klaviercluster scharf akzentuierten Klarinettenphrase an, deren klagender Ton sofort gefangen nimmt. Wiederholungen und Fortspinnungen führen zur Intensivierung des Ausdrucks. Kulminationspunkt ist die Gegenüberstellung extremer Klanglagen im höchsten Dynamikbereich: zum höchsten Register der Klarinette tritt ein Klaviercluster in der Kontraoktav. Die Spannung wird danach schrittweise abgebaut.
Der zweite Satz ist ein Presto, dessen Melodik ganz von der kleinen Sekunde geprägt wird. Die kleinschrittigen Melodien im Klavierdiskant und in der Klarinette ergänzen sich zu einem Achtelpuls. Immer wieder bricht die Melodie ab. Auch hier ist der klagende Grundton zu vernehmen, der sich durch das Insistieren auf entsprechenden Motiven zunehmend verstärkt und nach einer rhythmischen Verdichtung zu einem quasi schreienden Ausbruch kommt: die Klarinette auf g”’ mit sich anschließenden Flatterzungeneffekten, das Klavier mit harten Sept-/Nonklängen. Es gibt keinen Wendepunkt, nur die Rückkehr zum klagenden Motiv, bis der Satz auf einem einsamen, kaum hörbaren tiefen f der Klarinette stehen bleibt, das dann noch eine kleine Sekunde abwärts gleitet
Der ganz im piano gehaltene, sehr langsame dritte Satz scheint in eine andere Welt zu führen. Natürliche Klaviertöne mischen sich mit auf den Saiten gezupften. (Im Vorwort wird eine Übersicht über die vor der Aufführung zu markierenden Dämpfer angegeben. Hierbei fehlt der Ton e”.) Im Schlussabschnitt werden die Saiten noch durch die Hand gedämpft. Der Klavierpart wiederholt ständig ein leicht variiertes Pattern, das tonale Anklänge und einen deutlichen Basiston (d) aufweist. Zu diesem tritt eine expressive, schlichte, sich ebenfalls wiederholende Klarinettenmelodie hinzu, die in mehreren Phasen sequenziert wird. Mit gedämpften D-Dur-Resonanzen und einem pochenden Klavier-d’, zu dem nur noch ein Luftgeräusch aus der Klarinette zu hören ist, verklingt diese spannungs- und ausdrucksvolle Sonate von Katia Tchemberdji. Mit Ausnahme des viergestrichenen d in der Klarinette werden an die Ausführenden keine extremen spieltechnischen Anforderungen gestellt.
Heribert Haase