Heucke, Stefan

Sonate

für Bassklarinette in B (oder Violoncello) und Klavier op. 23

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 10/2005 , Seite 79

Der extrem große Tonumfang und die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der Bassklarinette haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Komponisten zu Solo- bzw. Kammermusikwerken für dieses Instrument angeregt. So hat sich der lange Zeit in Dortmund lebende und wirkende Stefan Heucke (Jahrgang 1959) in seinem etwa 50 Werke umfassenden Œuvre mehrfach der Bassklarinette zugewandt: In den Variationen über ein Thema von Anton Webern verwendet er sie solistisch mit Orchester, während Gilgamesch trauert um Engidu ein Solowerk ist.

Die vorliegende dreisätzige Sonate op. 23 mit Klavier hat Heucke bereits 1995 vollendet. Sie ist dem niederländischen Bassklarinettisten Henri Bok gewidmet. In Anlehnung an alte Traditionen setzt Heucke dem Widmungsträger in der Sonate ein für die Komposition insgesamt ungemein ergiebiges „Denkmal“: Das eröffnende Motiv besteht aus den Tönen h-e-[enri]-b[ok] und ergibt die prägnante Intervallfolge Quarte-Tritonus. Dieses Motiv ist die Keimzelle und das formbildende Element der gesamten Sonate.

Der erste Satz wird inhaltlich durch den Titel Ballade genauer bestimmt. Neben lyrischen Passagen entwickelt sich dramatische Spannung, die auf dem Höhepunkt das transponierte Namensmotiv exponiert. Neben der formalen Stringenz beeindruckt die klangsensible Gestaltung des Satzes. Scherzohafte Elemente dominieren im zweiten Satz, einem überaus einfallsreichen Variationen-Satz. Heucke verknüpft den Beginn des Themas mit dem Namensmotiv und stellt der Kantabilität der Bassklarinette Klavierakkorde (häufig in Quart-Tritonus-Schichtung) im Staccato gegenüber. In den fünf Variationen wird das thematische Material aus der horizontalen Bewegung in die vertikale übergeführt, rhythmisch neu geformt, mit tonalen Elementen unterlegt oder klanglich verfremdet, indem Slaptongue-Effekte mit abgedämpften Klavierklängen kombiniert werden. Der zweite Satz geht unmittelbar in eine Elegie, den Schlusssatz, über. In diesem wird die ausdrucksstarke Melodie des Soloinstruments mit tonalen Akkorden unterlegt, die aber durch das klanglich veränderte (mit Plektron gezupft) und erweiterte Namensmotiv im Klavierbass konfrontiert wird. Gegen Ende wird der elegische Ausdruck durch Vierteltöne und abwärts geführte Glissandi verstärkt. Schließlich endet die Sonate nach einem Wechselspiel von repetierten Mehrklängen der Bassklarinette und Pianissimo-Akkorden im Klavier mit einem letztmaligen h-e-b.

Heuckes Sonate dürfte sich schnell einen Platz im Repertoire sichern, da sie sich dem Hörer unmittelbar erschließt und große kompositorische Qualitäten aufweist, die sich aus der traditionellen Kompositionstechnik generieren, aber zu neuen Ausdrucksebenen führen. Das Werk hat eine Aufführungsdauer von ca. 23 Minuten und fordert vom Klarinettisten eine äußerst sichere Beherrschung des höchsten Registers der Bassklarinette. Die Violoncello-Version der Sonate erreicht nicht ganz die klanglichen Nuancen der wohl zuerst entstandenen Bassklarinetten-Version. Dem Slaptongue-Effekt entspricht ein normales Pizzikato. Die Mehrklänge werden durch Doppelgriffe sulla tastiera und Flatterzungeneffekte durch Tremoli ersetzt.

Heribert Haase