Mozart, Wolfgang Amadeus

Sonatas

C major KV 14/C major KV 303 (293c)/A major KV 402 (385e)/A major KV 526

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 87524
erschienen in: das Orchester 06/2008 , Seite 64

Was ist „Tonartencharakter“? In jedem Fall ein weites Feld. Was im Zusammenhang mit historischen Stimmungen und ihren ungleich reinen und unreinen Intervallen höchst bemerkenswert und ohrenfällig ist, hat nach der allmählichen allgemeinen Einführung der „gleichschwebenden“ Temperatur – also grob: seit der Entwicklung des modernen Flügels zur Mitte, eher zum Ende des 19. Jahrhunderts – einen oftmals esoterisch anmutenden Beigeschmack bekommen.
Der ursprünglich sehr unterschiedliche Charakter der Tonarten, verursacht durch die mehr oder minder „mitteltönige“ Stimmung der Tasteninstrumente, wurde durch den wachsenden Wunsch der Komponisten gleichgeschaltet, in jede erdenkliche Tonart ungehindert und dem Ohr schmeichelnd modulieren zu können: ein Prozess, der sich über Jahrhunderte hinzog und im modernen, gleichwertigen Nebeneinander aller Dur- und Molltonarten gipfelte. Doch dieser Prozess ist längst nicht abgeschlossen: Jeder Klavierstimmer hat auch heute noch sein eigenes System, den Kern des Problems, das „pythagoreische Komma“, in seiner Stimmung zu „verstecken“. So klingt für feinohrige Hörer auch heute jeder Flügel ein bisschen anders.
Im Booklet zur Einspielung von vier Mozart-Violinsonaten durch die Geigerin Annette Unger wird kenntnisreich auf diese heute äußerst feinen Unterschiede abgehoben, die zur Mozart-Zeit (und auch später noch) virulenter waren als sie es heute sind. Zumal wenn auf modernem Instrumentarium musiziert wird, ist das, was den ehemaligen „Charakter“ hauptsächlich ausmachte, schon durch die ausgleichende Stimmung fast gänzlich nivelliert.
So versuchen die Interpreten dieser Aufnahmen (zu hören sind die Sonaten in C-Dur KV 14 und 303 sowie die A-Dur-Werke KV 402 und 526), den Charakter der Tonarten auf andere Weise einzufangen und wiederzugeben, indem sie das thematische Material in seiner Artikulation jenen Aussagen angleichen, die einst berufene Zeugen in Worte fassten.
So sagte Johann Matthesson um 1713, C-Dur habe: „… eine ziemlich rude und freche Eigenschafft“, und Christian Friedrich Daniel Schubart erklärte 1784/85, A-Dur enthalte „Erklärungen unschuldiger Liebe“ und zeige „jugendliche Heiterkeit und Gottvertrauen“.
Allein zwischen diesen beiden Aussagen aber liegen rund 70 Jahre, in denen sich enorm viel verändert hat. So lässt sich abschätzen, welche Aufgabe heutige Musiker übernehmen, wenn sie sich diesen speziellen Herausforderungen stellen: Annette Unger (Violine) und Brunhild Webersinke (Klavier) – beide werden bei der sehr frühen Mozart-Sonate unterstützt von Micheal Pfaender (Cello) – zeigen als inspirierte Interpretinnen mit spieltechnischer Brillanz und musikantischem Gespür, was möglich ist, wenn solide Musikalität und historische Informiertheit aufeinandertreffen. Freilich aber können sie die Grenzen ihres Instrumentariums und ihrer eigenen musikalischen Tradition als Musikerinnen – beide sind in Dresden und Leipzig ausgebildet und unterrichten heute in der Elbe-Metropole – nicht gänzlich sprengen.
Matthias Roth