Maxwell Davies, Peter

Sonata for Cello and Piano

„Sequentia Serpentigena” (2007)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 69

Alles dreht sich um die Schlange: In der Genesis lautet ihre Botschaft an Eva, sie werde nicht sterben, wenn sie vom Baum der Erkenntnis esse. In mittelalterlichen Bildsprachen steht die Schlange für Weisheit, Gelehrsamkeit und zugleich für nicht enden wollenden Zwist. In Vergils Äneis symbolisiert sie eine Vermittlungsinstanz zwischen Leben und Tod. In Ovids Metamorphosen schließlich begegnen wir einer von Poseidon gesandten Seeschlange: Um das Land von dieser Plage zu befreien, soll Andromeda geopfert werden, Perseus aber besiegt das Untier und nimmt
Andromeda zur Frau.
Ein vielschichtiges Werk hat Sir Peter Maxwell Davies, Doyen der englischen Komponisten, mit seiner „schlangengezeugten Sequenz“ geschaffen. Diese 2007 komponierte Cellosonate – sie ist dem italienischen Cellisten Vittorio Ceccanti gewidmet und wurde von ihm und Bruno Canino 2008 in Siena uraufgeführt – entfaltet in ihren sechs Sätzen ein geistiges Spektrum mit vielfältigen Bezügen zur antiken Mythologie ebenso wie zu religiösen Bildern jüdisch-christlicher Tradition. Diese fand der Komponist gebündelt in der Skulpturenwelt der „pievi“, kleiner frühmittelalterlicher Landkirchen der Toskana.
Als musikalischer Ausgangspunkt und strukturbildendes Material für das gesamte Werk fungiert die gregorianische Antiphon zum Gründonnerstag „Traditor autem dedit eis signum“ („Und der Verräter gab ihnen ein Zeichen…“): Judas, von den „Schlangen“ der Heimtücke beherrscht, kündigt an, Christus verraten zu wollen.
Bedauerlicherweise findet sich in der vorliegenden Ausgabe nur ein knapper Einführungstext des Komponisten, der uns mit den beziehungsreichen lateinischen Satzüberschriften weitgehend allein lässt, sodass wir gehalten sind, auf eigene Faust zu recherchieren. Für Käufer, Leser, Ausführende des Werks gewiss keine unzumutbare Aktivität, unter dem Gesichtspunkt verlegerischer Dienstleistungen jedoch darf man diese Unterversorgung beklagen.
Abgesehen von diesem Manko bleibt purer Enthusiasmus angesichts der Neupublikation: Das Sonatenrepertoire wurde hier durch ein Werk erweitert, dem Verbreitung und Erfolg zu wünschen sind. Zwischen der gregorianischen „Judas“-Intonation und dem ätherischen Pianissimo-Schluss des Finalsatzes „Saevit in umbram“ erleben wir Kammermusik auf höchstem Niveau, kontrapunktisch exzellent durchgehört, von großer Erfindungskraft in der motivischen Verarbeitung, immer klangvoll und instrumentgerecht, dazu rhythmisch äußerst diffizil. Die technischen Ansprüche an beide Instrumente sind nicht gering, vom Cellisten werden Wendigkeit, schnelle Registerwechsel und Flageolett-Sicherheit in höchsten Lagen verlangt. Auffallend ist nicht zuletzt die hohe Transparenz des Klavierparts: Trotz mancher Fortissimo-Kraftentfaltung dürfte es, anders als in vielen Cellosonaten, kaum zu Balanceproblemen zwischen den „ungleichen“ Partnerinstrumenten kommen.
Gerhard Anders