Cage, John

Solo for Cello

Works for Violoncello

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6693 2
erschienen in: das Orchester 09/2007 , Seite 88

Kein zweiter Komponist hat das Musikdenken des 20. Jahrhunderts so nachhaltig verändert wie John Cage. Manch radikale Tat des sanften Revolutionärs scheint bis heute kaum in ihrer Tragweite verstanden worden zu sein. Äußerste, allem Regelzwang enthobene Freiheit der Formgestaltung berührt sich mit extremer Strenge in der Realisierung des Einzelereignisses. Den divergierenden Konzepten herkömmlicher westlicher Prägung, Musik entweder als Gefühlsäußerung oder aber als tönendes Spiel zu begreifen, stellte Cage eine dritte, radikale Alternative gegenüber, in die fernöstliches Denken ebenso eingeflossen ist wie das Werk des friedvollen Anarchisten Henry David Thoreau: Komponieren als geistige Übung, von enormer Disziplin geprägt und zugleich Freiräume schaffend, die allem, was bis in die 1950er Jahre als gegeben angenommen wurde – Synchronität, Beziehungen zwischen Tönen, ja Partituren überhaupt –, komplett den Boden entzog. Seine Musik, so Cage, enthalte nichts, woran man sich erinnern müsse, lediglich „Aktivität von Ton und Stille“.
Die vorliegende CD, Teil einer umfangreichen Dokumentation des Œuvres von John Cage durch das „alte“ und ewig frische Neue-Musik-Label Wergo, enthält Werke, die Cage dezidiert für Cello komponiert hat – Solo for Cello (1958), Études Boréales (1978) – sowie weitere Kompositionen für variable Besetzungen, die hier in Cello-Versionen zu hören sind: 59 1/2 Seconds for a String-Player (1953), Atlas Eclipticalis (1961), Variations I (1958). In zweifacher Hinsicht ist die Produktion grandios gelungen: Heinz Klaus Metzgers Booklettext lässt uns nochmals Cages Weg von der „Abschaffung der Partitur“ (in seinem Klavierkonzert, dessen Cello-Part hier unter dem Titel Solo for Cello wiedergegeben ist) und seinen „äußersten Pendelschlag in Richtung absoluter Indetermination“ (in Variations I) bis hin zur simultanen Spielbarkeit verschiedener Werke (in den Études Boréales) fasziniert nachvollziehen.
Das Spiel Friedrich Gauwerkys wird den exorbitanten Anforderungen der Musik nicht nur gerecht, sondern bietet in Farbreichtum und klanglicher Differenzierung ein Abbild jener improvisatorischen Entscheidungsfreiheit, die man als Interpret der Werke John Cages genießt. Gauwerky, ehedem Schüler und Assistent des cellistischen Avantgarde-Urvaters Siegfried Palm, ist ein in vielen Ländern bis hin nach China und Australien gefragter Solist und Pädagoge, der sich keineswegs ausschließlich als Fachmann für „new complexity“ versteht. So gehört auch Max Reger zu den Schwerpunkten seines Repertoires – möglicherweise Teil seiner Prägung durch den Lehrer Palm, der dem Schüler im Übrigen eine signifikante „Marotte“ vererbt hat: Allenthalben sind Gauwerkys heftige Schnaufgeräusche zu vernehmen… Gemessen am Hauptereignis eine akustische Randerscheinung, die die glänzende Wiedergabe der Musik John Cages keineswegs störend beeinträchtigt.
Gerhard Anders