Wagnerová, Alena/Barbora Srámková (Hg.)

Smetana, Dvorák, Janácek

Musikerbriefe. Tschechische Bibliothek

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003
erschienen in: das Orchester 11/2004 , Seite 81

Dreiunddreißig Bände umfasst die Tschechische Bibliothek. Doch schon der vorliegende offenbart sehr überzeugend deren Gesamtkonzept, mit kulturellen Traditionen und Leistungen unseres Nachbarlandes bekannt zu machen. Viele dieser Briefe sind erstmals in deutscher Sprache zu lesen, und die geschickte Auswahl liefert authentische Zeitbilder und Porträts jener drei Komponisten, denen die tschechische Musik im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts ihren nationalen Aufschwung und den Anschluss an die internationale Moderne verdankt.
Bedrich Smetana wurde von Existenzsorgen gequält – und verfasste lebenslang „Bittbriefe“. Anfangs gewinnt er Liszt als Förderer und Freund, der seinem Talent zum Durchbruch verhilft. Als er 1874 ertaubt, bleibt er mittellos, obwohl gerade in jener Zeit seine bedeutendsten Werke entstehen. Die Oper Libussa, mit der das Tschechische Nationaltheater eröffnet wird, gilt gar als Symbol gesellschaftlicher Emanzipation. Die Briefe schildern aber nicht nur den Lebensweg bis zur Katastrophe. Sie zeigen Smetana kompromisslos beim Durchsetzen seiner Schaffensprinzipien, machen anschaulich mit seinen künstlerischen Intentionen bekannt und verdeutlichen, dass bereits er den „tschechischen Stil“ über das Lied-Zitat hinaus in der Deklamation des Wortes findet und daraus Eigenes formt.
Antonín Dvoráks „Geschäftsbriefe“ geben das Selbstbewusstein eines international erfolgreichen Komponisten und Dirigenten wieder. Leipzig, Berlin, Wien, England und Amerika waren seine Wirkungsstätten. Brahms wurde zum Mentor und Freund, Simrock sein namhafter Verleger. Mit Hanslick kam er in Kontakt, Bruckner hat er besucht. Er wurde zum Mittelpunkt des tschechischen Musiklebens, korrespondierte mit Smetana, Janácek und Suk. Und die Erfolge seiner Musik in aller Welt waren die der heimatlichen Tonkunst! Darüber äußert sich Dvorák schlicht und voller Freude und lässt ein ausgesprochen glückliches Naturell erkennen!
Intime Briefe (Listy duverné) benannte Leos Janácek sein zweites Streichquartett. In dieser letzten Komposition bekennt sich der 47-Jährige zur Liebe als schönsten Ausdruck und Stimulans seines Daseins und Schaffens: „Hinter jedem Ton stehst du, lebendig, stürmisch, lieblich.“ Janáceks Briefe sind überwiegend Liebesbriefe an seine spätere Frau Zdenka Schulz, in denen er sich alle jugendliche Unsicherheit von der Seele schreibt. Und an Kamila Stösslova, der er eine glühende Zuneigung entgegenbringt und die seine späten Jahre verschönt. Studieren konnte Janácek in Leipzig und Wien. Anerkennung fand der Brünner eher im Ausland als in Prag. Oft sind es soziale Krisen und politische Ereignisse, die seine Worte und Werke prägen. Und mit ihnen verschafft er sich und seinem Land eine originelle Stimme im 20. Jahrhundert. Auch bei diesem dritten Meister liefert die Brief-Biografie den Schlüssel zum Schaffen. Antwortbriefe fehlen überall: Der Leser wird zum Adressat. Ihm eröffnen die Mitteilungen den eigenen Blick und das eigene Bild!
Eberhard Kneipel