Beer, Alexander
Sinfonieorchester minus Streicher
Bläserwerke für den professionellen Konzertbetrieb
Neben den Harmoniemusiken der Klassik und Blechbläserformationen verdient die dritte Säule des Bläserrepertoires Beachtung. Mit Schlagzeug und Tasteninstrumenten ergänzt, erfuhr diese Gattung Aufwind ab den 1920er Jahren. In Deutschland hat sich das Bläserensemble Mainz unter der Leitung von Klaus Rainer Schöll um dieses Repertoire verdient gemacht. In seiner mehr als dreißigjährigen Geschichte war das Ensemble Auftrag- und Impulsgeber von über 50 Werken, darunter Kompositionen von Jean Françaix, Werner Egk und Hans Werner Henze.
Große Dirigenten als Vorreiter
Während kammermusikalische Werke für Bläser einen festen Platz im Repertoire besitzen, muss man nach Bläsermusiken in orchestraler Besetzung also den Kompositionen für Sinfonisches Blasorchester genauer in den Programmen suchen. Claudio Abbado spielte mit dem London Symphony Orchestra Mendelssohns Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24 ein, Simon Rattle brachte mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra Percy Graingers Lincolnshire Posy auf die Bühne. Ingo Metzmacher integrierte in der Konzertreihe Who Is Afraid Of 20th Century Music? mit dem Philharmonikern Hamburg wiederholt Stücke für sinfonisches Bläserensemble, darunter Michael Daughertys Desi. Dasselbe Werk setzte auch David Zinman, Chefdirigent beim Tonhalle-Orchester Zürich, auf das Programm. Als Kurt Masur sein Abschiedskonzert in New York gab, kam Joseph Turrins Hemispheres für Bläser und Schlagzeug zur Uraufführung. Diese Beispiele sollen Motivation sein, über größere Bläserprojekte mit Musikern aus Kulturorchestern nachzudenken.
Volle Besetzung oder Sinfonieorchester minus Streicher?
In der Terminologie der Blasorchesterbesetzung sind Unterschiede zu beachten. Unter Blasorchester versteht man heute die relativ standardisierte Besetzung von Flöten, Oboen, Fagotten, chorisch besetzten Klarinettenstimmen, Saxofonen, Hörnern, Trompeten- und/oder Kornettstimmen, Posaunen, Euphonium, Tuba, Kontrabass, Pauken und umfangreichem Schlagwerk. Um die Klangfarbenpalette zu erweitern, werden oft Nebeninstrumente hinzugezogen und Klavier sowie Harfe besetzt. Repertoire aus Deutschland und Österreich verlangt traditionell zusätzliche Flügelhorninstrumente.
Idealerweise sollten alle Instrumente bis auf die Klarinetten solistisch besetzt sein, sodass man mit einem etwa 45 Musiker starken Orchesterapparat auskommt. Damit erreicht man eine auf Transparenz und Flexibilität fußende Interpretation. Einige Dirigenten bevorzugen jedoch, alle Stimmen chorisch zu besetzen und erreichen so eine Anzahl von bis zu 100 Ausführenden. Diese Besetzung wird für die meisten Sinfonieorchester nicht zuletzt aus finanziellen Gründen zu üppig sein, schließlich werden Orchesterexoten wie Saxofone oder Euphonium verlangt.
Interessant wären diese Werke jedoch im Rahmen von Jugend- und Kooperationsprojekten oder auch einer Orchesterpatenschaft tutti pro einer Initiative der Jeunesses Musicales Deutschland in Verbindung mit der Deutschen Orchestervereinigung und dem Verband deutscher Musikschulen. Wenig kompliziert ist ein Repertoire, dass sich unter dem Sammelbegriff Sinfonieorchester minus Streicher zusammenfassen lässt. Exemplarisch sind Malcom Arnolds Water Music, das Concerto for 23 winds von Walter Hartley und einige Werke von Strawinsky wie die Symphonies dinstrument à vent oder das Konzert für Klavier und Bläser aus dem Jahr 1924 zu nennen. Auch Steven Stuckys Komponierte Interpretation von Henry Purcells Funeral Music for Queen Mary passt in diese Besetzungsform. Das Werk entstand für Esa-Pekka Salonen und die Bläser des Los Angeles Philharmonic Orchestra.
Originalwerke bis 1925
Originale Blasorchesterkompositionen des 19. Jahrhunderts, beispielsweise von Mendelssohn oder Wagner, sind noch ohne Saxofone instrumentiert. Hingegen integrierten Saint-Saëns in Orient et Occident op. 25 und Rossini in La Corona dItalia als einige der ersten Komponisten dieses Instrument. Eine Repertoire-Nische bildet die italienische Banda-Musik. Die Bläser des Staatsorchesters Stuttgart rückten diese Literatur, die Bühnenmusiken, Originalwerke und zeitgenössische Bearbeitungen von Verdi, Rossini, Donizetti und Cherubini umfasst, in mehreren Konzertprojekten in den Jahren 1995, 1997 sowie 2007 in den Mittelpunkt.
Entscheidenden Einfluss auf die Repertoirerweiterung hatten englische Komponisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams schrieben mit ihren Suiten Klassiker, die ob ihrer fragilen Transparenz im Grunde nur von den besten Ensembles adäquat gespielt werden können. Beide verwenden, wie es später auch Gordon Jacob oder der Australier Percy Grainger taten, traditionelle Volksmelodien. Neben dem bereits erwähnten Lincolnshire Posy sind Irish Tune from County Derry, Molly on the Shore und Shepherds Hey zu nennen.
Die Zeit bis 1950 Gebrauchs- und Exilmusiken
Paul Hindemith ist es zu verdanken, dass die Donaueschinger Musiktage 1926 einen Programmschwerpunkt Gebrauchsmusik für Blasorchester setzten. Einige Komponisten folgten der Einladung und steuerten Werke bei, die im Juli des gleichen Jahres unter der Leitung von Hermann Scherchen zur Uraufführung kamen. Dazu zählen Hindemiths Konzertmusik op. 41, Ernst Peppings Kleine Serenade, Drei lustige Märsche op. 44 von Ernst Krenek, das Spiel für Militärorchester von Ernst Toch und die Promenademusik aus der Feder von Hans Gál. Hindemith schrieb in den folgenden 25 Jahren weitere große Bläserwerke, darunter die dreisätzige Symphonie in B während seines Exils in den USA. Auch Arnold Schönberg komponierte 1944 auf Bestellung des New Yorker Verlags Schirmer mit Thema und Variationen op. 43a ein vollständig tonales Blasorchesterwerk. 1944 entstand ebenfalls im Exil die Suite Française, in der Darius Milhaud jeden Satz einer anderen französischen Provinz und ihrer Musik widmet.
Repertoirefülle ab 1950
Eine Flut an neuem Repertoire ist ab 1945 festzustellen, sodass nur die wichtigsten Komponisten und herausragende Literatur erwähnt werden können. Dazu zählen von Olivier Messiaen Oiseaux exotiques und Et exspecto resurrectionem mortuorum für Bläser und Schlagzeug. Auch Karel Husa ist zu nennen, der mit Music for
Prague 1968 beispielsweise im Repertoire des Chicago Symphony Orchestras gelistet wird.
Als außerordentlich in dieser Fülle ist auch das Schaffen der beiden Amerikaner Joseph Schwantner, hier u.a. das Werk From a Dark Millenium, sowie David Maslanka mit der Symphony Nr. 4 oder A Childs Garden of Dreams zu bezeichnen. Dem Dirigenten Robert Austin Boudreau und seinem American Wind Symphony Orchestra kommen enorme Verdienste um das Repertoire zu. Unter den über 400 Auftragskompositionen aus den vergangenen fünfzig Jahren befinden sich erstaunliche Raritäten von Henk Badings, Robert Russel Bennett, Alan Hovhaness, Krzysztof Penderecki, Joaquín Rodrigo, Heitor Villa-Lobos und vielen anderen.
Solokonzerte
Rimskij-Korsakow bereicherte mit seinen drei Solokonzerten für Blasorchester und Oboe, Klarinette und Posaune den Literaturkanon. In den 1920er Jahren entstanden Bohuslav Martinus und Jaques Iberts Cellokonzerte, Leos Janáceks Capricco für Klavier und Kurt Weills Violinkonzert alle zeitlich eng beisammen und mit Bläserbegleitung. Hans Werner Henze knüpfte daran 1947 mit seinem Concertino für Klavier und Blasorchester an. Gefolgt 1954 von André Jolivets Concerto pour trompette No. 2, steuerte Frank Martin 1972 die Ballade pour Alto bei. Strawinskys Ebony Concerto findet ein Pendant in Leonard Bernsteins Prelude, Fugue and Riffs. Schließlich sei auf eine ähnliche musikalische Parallele bei Friedrich Guldas Konzert für Violoncello und Kurt Schwertsiks Flötenkonzert Instant Music op. 40 hingewiesen.