Haydn, Joseph / Isang Yun
Sinfonien Nr. 39 und Nr. 45 / Chamber Symphony I
Was genau Joseph Haydn dazu bewog, ab Mitte der 1760er Jahre mehrere Moll-Sinfonien zu schreiben, ist nicht bekannt. Musikforscher haben in späterer Zeit eine Verbindung zur literarischen Epoche des Sturm und Drang hergestellt, was vor allem auch damit zusammenhängt, dass diese Werke musikalisch sehr kontrastreich, emotional aufgeladen und mit expressiver Spannung gestaltet sind. In der Rezeptionsgeschichte der Sinfonien Haydns nehmen die Aufführungen dieser Kompositionen bis heute einen festen Stellenplatz ein, und die berühmte Abschiedssinfonie Hob. I:45 aus dieser Gruppe ist vielleicht eines der bekanntesten Werke des Komponisten.
Jede neue Wiedergabe muss sich demnach an einer Unzahl von Interpretationen messen lassen, gleichgültig ob diese im Sinne der Alte-Musik-Bewegung mit historischen oder mit modernen Instrumenten entstanden ist. Innerhalb dieses Vergleichs schneidet die Aufnahme mit dem Münchner Kammerorchester unter der Leitung von Alexander Liebreich sehr gut ab. Der vorwärts drängende, energetische Impuls, der in atmende, kantilenenartig ausgeformte Melodiefloskeln eingebettet wird, tritt hier ebenso zutage wie die lyrische Gestaltung vor allem der langsamen Sätze als ein paradoxerweise immer wieder merkwürdig Unruhe stiftender Ruhepunkt. In diesem Konzept wirkt allerdings die aufschreiende Schärfe, die ebenfalls in der Musik innewohnt und von anderen Interpreten weit mehr ausgearbeitet wurde, abgemildert und zurückgenommen. Im Vergleich zu anderen Interpretationen wirkt dieser Haydn weniger effekthascherisch und kommt mit einem abgemilderten literarischen Sturm-und-Drang-Pathos daher. Das hilft zum Verständnis der Musik aus seiner Zeit heraus, denn eine musikalische Sturm-und-Drang-Epoche haben die Zeitgenossen Haydns nicht wahrgenommen.
Ergänzt wird die CD mit der Chamber Symphony I des 1995 verstorbenen Isang Yun. Im Konzertrepertoire haben sich dessen Kompositionen mittlerweile rar gemacht. Umso verdienstvoller ist die Entscheidung des Produzenten Manfred Eicher, dieses 1987 entstandene Werk für die CD aufzunehmen. In seiner Orchestrierung mit zwei Oboen, zwei Hörnern und Streichern erinnert die Kammersinfonie zugleich an die frühen klassischen Sinfonien. Nach der qualitätsvollen Wiederbegegnung mit Yuns Musik auf dieser CD kann man sich nur wünschen, dass dessen Werk in den Konzertprogrammplanungen wieder mehr Berücksichtigung findet. Allerdings hätte die vorliegende Umsetzung trotz aller interpretatorischen Verdienste und im Gegensatz zu den Haydnschen Sinfonien ein wenig mehr Schärfe in den Dissonanzen oder bei den Glissandi und eine energischere Ausgestaltung der rhythmischen Patterns vertragen. Dann hätte man den Wechsel zwischen Haltepunkten und Vorwärtsdrang in der Musik Yuns nicht nur als Yin und Yang unterstrichen, sondern die Aufnahme zu einem dramatisch noch aufwühlenderen Hörerlebnis gestaltet.
Klemens Fiebach