Anton Bruckner

Sinfonie Nr. 8/Te Deum Sinfonie Nr. 7

Chor des Bayerischen Rundfunks, Simon Halsey (Einstudierung), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Bernard Haitink

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 69

Anders als Gustav Mahler hat Anton Bruckner nur sparsame Hinweise zur Interpretation in die Partitur seiner Sinfonien geschrieben – und auch die oft nur ganz am Ende des Kompositionsprozesses, gewissermaßen als Pflichtübung. Umso größer ist die Herausforderung für Dirigentinnen und Dirigenten, aus dem komplexen Gefüge von Motiven, Themen, Polyfonie und Harmonik zu verstehen, was Bruckner gewollt haben könnte. In welcher Beziehung stehen Metrik und Tempo? Zugleich bietet die Notationspraxis des Komponisten Freiräume für besonders kreative und effektvolle Werkauslegungen. Es ist mehr als kompliziert, aus der Partitur heraus beweisen zu wollen, was bei Bruckner richtig ist und was falsch.
Einer, bei dem man fast immer ein „So und nicht anders“-Gefühl hat, ist Bernard Haitink. 2021 ist der immer noch unterschätzte niederländische Dirigent im biblischen Alter von 92 Jahren gestorben und hat eine Vielzahl von Aufnahmen der Sinfonien Anton Bruckners hinterlassen. Wenn in diesem Jubiläumsjahr den zahllosen Bruckner-Aufnahmen noch weitere von verschiedenen Interpreten hinzugefügt werden, dann ist deren Sinnhaftigkeit immer wieder zu hinterfragen. Die Einspielungen der Bruckner-Sinfonien mit Bernard Haitink neu herauszugeben, ist hingegen ein Geschenk.
Bislang lagen die Sinfonien vier bis sechs vor. Nun ist die siebte Sinfonie in einer fast schon historischen Aufnahme von 1981 erschienen. Und parallel dazu die monumentale Achte, eingespielt 1993, sowie das Te Deum in einer Produktion von 2010. Es ist die Achte, deren Interpretation durch ihre Ausgewogenheit bei gleichzeitiger Intensität aus diesem Triumvirat hervorragt. Ein schieres Wunder ist Haitinks Melodieführung, seine Gewichtung beim Vorangehen und Innehalten, Aufblühen und Verklingen – und das im Detail ebenso wie im gesamten Kontext. Haitink braucht keine Ruppigkeiten und künstlichen Löcher, bei ihm kommen Erhabenheit und Pathos von innen, entwickeln sich in organischer Folgerichtigkeit. So erreicht er, ohne zu forcieren und gleichsam selbstverständlich, himmlische Steigerungen und Augenblicke der Andacht. Ungezählte Gänsehaut-Momente ereignen sich beim Hören. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist unter Haitinks Händen das perfekte Instrumente, um Bruckners Musik für die Nachwelt zu erhalten.
Streng und monolithisch gestaltet der Niederländer das Te Deum in seinen schnellen Teilen, um die innige Einkehr des Te ergo umso mehr auszukosten. Dies alles geschieht ohne Schielen auf den Effekt, sondern als logische Folgerung aus Bruckners Partitur. In der siebten Sinfonie überrascht der zügige und leichte letzte Satz. Auch diese Live-Aufnahme: unbedingt hörenswert.
Johannes Killyen